Auf der Suche nach dem Wunder

Gregor Eisenhauers zynischer Roman "Der Stein der Weisen"

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Journalist Ricki Claasen. Früher einmal einer der cleversten Reporter des "besten Nachrichtenmagazins Europas", heute Alkoholiker und zwanghafter Raucher, getrennt von seiner Frau lebend, allein, lebensmüde. Jemand, der alt und verbraucht ist. Nur noch nicht entlassen, weil der Ruhm seiner Story über die Wiedertäufer nachhallt.

Und der Stein der Weisen. Lateinisch lapis philosophorum, auch ultima materia. Soll Stoffe in Gold verwandeln können und dem Besitzer das ewige Leben verleihen. Hokuspokus? Das glaubt Claasen auch, als er von seinem Chef, einem jungen Schnösel, auf die Beschaffung des Steins angesetzt wird. Doch dann zeigt jener ihm Videoaufnahmen von Boris, der dem Blatt die Exklusivrechte an seiner aufwendigen Suche nach dem Stein anbietet. Gegen 100.000 DM. Und auch dann nur, wenn Claasen die Geschichte zu Papier bringt. Ein Beweis für Boris' Entschlossenheit zu tun, was nötig ist? Eine Todesanzeige. Und das Geständnis eines Mordes. Boris will seine Gönnerin getötet haben.

Claasen hält die Geschichte für Humbug, den jungen Mann für einen verrückten Sektenfreak, er will den Fall ablehnen. Doch dann geschehen plötzlich merkwürdige Dinge, Claasen erhält Drohbriefe, wird von Männern, denen man nicht nachts alleine begegnen möchte, verfolgt und von völlig Fremden in seinem Stammcafé angesprochen. Dann verschwindet auch noch seine erwachsene Tochter, vermutlich mit Boris - und plötzlich scheint alles zusammenzupassen. Oder auch nicht.

"Der Stein der Weisen" beginnt wie ein film noir. Eigentlich fehlen nur noch der Deckenventilator und die ewig kaputte, blinkende Leuchtreklame auf der anderen Straßenseite. Gregor Eisenhauers "Held" kann nur noch bis zum nächsten Calvados, der nächsten Zigarette, der nächsten Hure denken. Er trauert immer noch seiner Frau nach, die ihn vor Jahren verlassen hat, ihn zuvor betrog, ihm ein Kind unterschob. Ein Mann, mit dem man beinahe Mitleid haben möchte. Der jedoch redet wie aus einem schlechten Krimi entsprungen, der von einem Klischee ins nächste springt, sich für cool wie Philipp Marlowe hält und den Leser dadurch auf eine harte Probe stellt. Weiterlesen oder nicht? Soll man sich da hindurchkämpfen? Im Verlauf des Romans legt sich allmählich diese widerstrebende Haltung gegenüber Hauptfigur und Roman an sich jedoch allmählich. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass Gregor Eisenhauer andere, glaubhaftere (und vielleicht auch sympathischere Figuren) einführt, wie zum Beispiel Claasens Tochter oder den Butler Victor. Diese aber geraten dessen ungeachtet in Situationen geraten, die bisweilen so abstrus wirken wie aus einem TV-Krimi entlehnt. Während Claasen wieder und wieder mit Wortwitz und satirischen Collagen durchaus intelligente Gegenwartskritik übt, allerdings stellenweise über Seiten hinweg gehend.

Immer wieder scheint sich der Roman in drei verschiedene Projekte zu teilen, die für sich stehend sicher amüsant zu lesen wären: Einerseits den beinahe schon phantastisch anmutenden Millenniums-Endzeit-"Kriminal"roman, andererseits die Gesellschaftssatire, die gekonnt und mehr oder weniger dezent all das karikiert, was uns sauer aufstoßen muss, und dann wieder die Hass/Liebeserklärung an das heutige Berlin mit seinen Baustellen, dem furchtbaren Verkehr und den großartigen Gebäuden. All das vermischt jedoch ist weder Fisch noch Fleisch, das Lesen bleibt kein ungetrübtes Vergnügen. Auch wenn der Autor es gegen Ende des Buches schafft, mit schnellen Entwicklungen unverhofft ein überraschendes Ende herbeizuführen, lässt der Roman einen schalen Geschmack zurück.

Titelbild

Gregor Eisenhauer: Der Stein der Weisen. Roman.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
411 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3821808152

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