Seitensprünge eines Romanciers

Wolfgang Koeppen reist nach Griechenland

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der heißbegehrteste Autor der späten 50er und frühen 60er Jahre hieß Wolfgang Koeppen. Er hatte Anfang der 50er drei schmale Romane vorgelegt, "Tauben im Gras" (1951), "Das Treibhaus" (1953) und "Der Tod in Rom" (1954), die dem Nachkriegsdeutschland einen bösen Spiegel vorhielten, und jetzt wartete die literarische Welt auf den großen Zeitroman aus seiner Feder. Sie wartete vergeblich. Stattdessen legte Koeppen Reisefeuilletons vor, empfindsame Reisen "Nach Rußland und anderswohin" (1958), Auftrags- und Gelegenheitsarbeiten für den Hörfunk oder für Zeitungen, später gesammelt in Buchform, elegant gebaute, gut beobachtete, gleichwohl nicht sonderlich aufregende Reportagen, darunter die "Amerikafahrt" (1959) und die "Reisen nach Frankreich" (1961). Aus Anlass des Frankreichbuches veröffentlichte Marcel Reich-Ranicki seinen nachgerade berühmt gewordenen Artikel "Der Fall Wolfgang Koeppen". Die halb besorgte, halb polemische Rezension lief auf die These hinaus, Presse und Publikum seien schuld am Verstummen des Schriftstellers Wolfgang Koeppen. Reich-Ranicki lobte die "pointillistische Detailmalerei" des Reiseschriftstellers, doch im Grunde lehnte er den "Seitensprung des Romanciers" ab, hätten wir es doch nicht etwa mit einem "schlechten Reisebericht" zu tun, sondern mit einem "ungewöhnlich schwachen Koeppen-Buch".

Woran es wirklich lag, dass Koeppen verstummte, wissen wir bis heute nicht. Der Autor hat seine Reisen jedoch immer auch als Wege aus der Krise verstanden. Das Salamis-Buch ist ein gutes Beispiel dafür. Das jetzt als Insel-Taschenbuch vorgelegte, großzügig gedruckte und schön illustrierte Feuilleton von 1961 ist ursprünglich im Hörfunk gesendet und 1962 erstmals im "Jahresring" gedruckt worden. Der Titel ist etwas irreführend: bei Salamis siegte die griechische Flotte 480 v. Chr. über die Perser, von Salamis aber sieht Koeppen nur den "grauen Schatten" im Meer. Aber die Zeit nach Salamis gilt Koeppen als Blütezeit der attischen Demokratie, und insofern sind wir die eigentlichen Erben von Salamis, da wir noch heute von dieser kurzen Periode aus "Gnade und Glück und Genie" profitieren. Koeppens Feuilleton freilich gilt Athen und der Akropolis, gilt Mykenä, Nauplia, Epidaurus und Delphi, gilt dem sardonischen Golf als der "attischen Riviera", gilt schließlich Piräus und dem "Abglanz der Freiheit", der aus jener Zeit noch spürbar sei.

Koeppen reiste per Flugzeug an, und im Gegensatz zu Goethe und Hölderlin hat er die "Gestade" der abendländischen Kultur selbst noch gesehen. Sie waren kein Grund für ihn, einen hohen Gesang auf Hellas als die Wiege der Menschheit anzustimmen. Koeppen ist ein eher nüchterner Beobachter: "Die Götter haben Studienratsstellen angenommen." Der Verfassungsplatz von Athen - "ein Beispiel mediterraner Sommeröde"; der Eintrachtsplatz, "von Häusern des neunzehnten und schon des einundzwanzigsten Jahrhunderts umstellt, europäisch provinziell". Piräus sei hässlich, Mykenä eine "böse Felsenburg". Athen sei gesichts- und glanzlos, unelegant und unliebenswürdig - oder eben Otto von Bayern und damit "biedermeierlicher Klassizismus" von Baumeister Klenze.

Die Impressionen und Geschichten eines Deutschen, der 1961 Griechenland besucht, sind noch von den Ereignissen des Krieges geprägt und zeigen viele Aspekte der Nachkriegsliteratur, darunter die Scheu, sich als Deutscher in der Welt zu bewegen. Ganz ähnlich die Atmosphäre in den Erzähltexten der Zeit: Gedanken an Krieg und Zerstörung und der "Stolz, nicht eine Stunde für Hitler Soldat gewesen zu sein".

Neben dem Salamis-Feuilleton entsteht 1961 erzählerische Prosa, darunter das Romanprojekt "Theseus, fast nichts" und die Erzählung "Ariadne oder Der verlorene Pfad", letztere aus dem Nachlass publiziert im jüngst erschienenen Band "Auf dem Phantasieroß". Die Reportagen wie die Erzählungen und Romanfragmente sind jeweils eigene Textsorten. Aber alle Texte sind Fortschreibungen einer riesigen Autobiographie, sind Varianten des immergleichen Lebensromans, mit dem Wolfgang Koeppen in den letzten dreieinhalb Dezennien seines Daseins nicht mehr zurande kam. So blieb das "Rundum"-Projekt, eine Weltreise in 300 Seiten, ebenso im Planungsstadium hängen wie das "Kleine Reisebuch Griechenland" (mit "ca. 100 Seiten" veranschlagt). Erzählungen mit Griechenlandbezug wie die erwähnte "Ariadne"-Erzählung oder die Reise zweier Lesbierinnen zum Heiligtum der Sappho auf der Insel Lesbos ("Eine Geschichte", ca. 1960) blieben Exposé oder Fragment.

Titelbild

Wolfgang Koeppen: Die Erben von Salamis. oder Die ernsten Griechen. Mit farbigen Fotografien.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
80 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3458341013

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