Petersens Mondfahrt

Raoul Hausmanns und Franz Jungs Korrespondenz mit dem Inhaber der Petersen Press

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 3.11.1960 schrieb ein gewisser Jes Petersen den exakt 50 Jahre älteren Raoul Hausmann an, womit ein fünf Jahre andauerndes äußerst skurriles Stück Kunst- und Literaturgeschichte begann, das in deren Historie allerdings kaum mehr als eine Fußnote hergeben wird. Petersen, damals Anfang zwanzig, bat Hausmann, für eine von ihm ins Auge gefasste "kunstzeitschrift" namens "Carreta" zu schreiben. Der ehemalige Dadaist zeigte sich nicht abgeneigt. Aber schon bald war das Zeitschriftenprojekt vergessen und Petersen schwärmte nunmehr davon, einen Verlag zu gründen, der allein kraft der Absicht auch schon vom gleichen Augenblick an existierte - jedoch "nur in den Briefen" Petersens, Hausmanns und später Franz Jungs, wie der Herausgeber der Korrespondenz feststellt. Ansonsten blieb der Verlag stets "Fiktion".

Wieso Hausmann und bald darauf Jung sich überhaupt auf Petersens großsprecherische Hirngespinste einließen, ist ebenso schwer nachzuvollziehen, wie der Langmut, mit dem sie seine ewigen Honorarankündigungen und -vertröstungen hinnahmen. Mal tönte Petersen, Autorenhonorare seien ihm wichtiger als "Löhne für versoffene Drucker", ein andermal klagte er: "Ich muss allen erdenklichen Scheisskerlen Arbeiten finanzieren, Fotographen, Setzern, Klischeeanstalten, alten Rechnungsforderungen nachkommen." Nicht nur in pekuniären Fragen waren die beiden Künstler von unerschütterlicher Nachsicht. Ebensolche Schafsgeduld legten Hausmann und Jung gegenüber nicht eingehaltenen Publikationsterminen und hanebüchenen Ausflüchten sowie überhaupt gegenüber Petersens verlegerischer 'Kompetenz' an den Tag. Hausmann scheint bei alldem für die Phantastereien Petersens anfälliger gewesen zu sein als Jung, der von den Dreien noch den bodenständigsten Eindruck macht.

Petersen hinterlässt bei heutigen LeserInnen schon nach wenigen Briefen den Eindruck eines jungen ungebildeten, aber von keinen Selbstzweifeln geplagten Mannes aus Glücksburg, gleich hinterm Mond gelegen, der - seiner landwirtschaftlichen Ausbildung bald überdrüssig - auf irgendeine Weise an Texte der avantgardistischen Kunst geraten war und in ihnen das faszinierende Andere des provinziellen Miefs entdeckt hatte. Er redete Hausmann und Jung schamlos nach dem Maul, quittierte jedes ihrer eingehenden Manuskripte mit einem kaum je variierten "grossartig" und bramarbasierte, mit welchen Berühmtheiten er - angeblich - in Kontakt stehe. Ständig in großen finanziellen Nöten hielt er sich mit illegalen Importen pornographischer Druckwerke mühsam über Wasser, was ihm einen Prozess samt Strafe einbrachte. Typisch für ihn war, dass er trotz seines ständigen Geldmangels und wiederholter nicht eingehaltener Honorarversprechungen in einem seiner Briefe Jung, der zu dieser Zeit gerade gesundheitliche Probleme hatte und fürchtete, in ein orthopädisches Hospital zu müssen, großspurig anbot: "Wenn Sie dringend etwas brauchen, schreiben Sie mir", nur um fortzufahren: "Augenblicklich habe ich nicht einmal mehr Geld, um alle Briefe zu frankieren."

All diese 'Verlagsinterna' sind im Grunde herzlich langweilig und ziemlich belanglos. Etwas interessanter wird das Buch dort, wo es um Hausmanns Privatfehde mit Karl Richard Huelsenbeck und seinen Feldzug gegen den Neodadaismus geht. "Leider dass Hausmann noch immer sich mit dem Dada Quatsch mit Huelsenbeck herumschlägt. Das ist geradezu schauerlich", klagt Jung einmal gegenüber Petersen. Allerdings kommt diese Kontroverse nur gelegentlich und am Rande zur Sprache, was daran liegen mag, dass Hausmann und Jung wenig Sinn darin gesehen haben dürften, mit dem Inhaber der Petersen Press über Dadaismus und Neo-Dadaismus zu diskutieren, da der allzu offensichtlich zu nicht mehr in der Lage war, als mit Lobhudeleien gegenüber Hausmann und Jung zu reagieren und mit Invektiven oder Verbalinjurien gegen nahezu sämtliche anderen zeitgenössischen Künstler, vor allem natürlich gegen die von Hausmann angefeindeten.

Leider nur zu selten leuchtet in den Briefen mal einer der kleineren aphoristischen Gedankenblitze Hausmanns hervor: "Man muss VIEL verlangen und sich mit NICHTS begnügen". Doch auch dieses Bonmot wird sogleich durch die angefügte Erläuterung "Nichts: so oder so." zerstört. Aber vielleicht war sie nur für den Adressaten Petersen gedacht, von dem Hausmann möglicherweise nicht zu Unrecht vermutet haben mag, dass ihm die Pointe ohne Interpretationshilfe entgehen könnte.

Petersens Briefwechsel mit Jung endete kurz vor dem Tode des expressionistischen Autors und Anarchokommunisten (1963), der den "Geschäftemacher" in einem der letzten Briefe auf die Couch legte: "Ich glaube," schrieb er, "dass die Verwischung von Phantasie und Wirklichkeit, die bei Ihnen so stark zu tage tritt, eine psychiatrisch oder analytisch zu behandelnde Angelegenheit ist - wären Sie selbst Maler oder Schriftsteller etc so fällt das nicht weiter auf. Sobald Sie aber geschäftlich zu bewertende Dinge anfassen oder durchführen wollen, wird es ein Manko, das jede Zusammenarbeit eigentlich ausschliesst. Wenn Sie meine offene Meinung hören wollen, so sehe ich das ganze Projekt [den Verlag] als gescheitert an." Aber selbst nun schloss Jung noch mit großmütiger Gelassenheit: "Na schön - es wäre nicht dass erste mal, dass ich mich einer unstabilen Sache angenommen hätte. Deswegen keine Feindschaft. In einigen Monaten ist das Ganze vergessen."

Nach Jungs Tod gelang es Petersen, Hausmann noch zwei Jahre bei der Stange zu halten. Dann geriet auch er nach weiteren endlos leeren Versprechungen und Ausflüchten in Harnisch: "Aber Sie müssen nicht die Anderen für plätschert halten. Wenn Sie mir schreiben 'ich habe heute 50 DM abgesandt', so muss ich das glauben, obzwar ich ja immer wieder sehe, dass man Ihnen nicht glauben kann." Er fand Petersens Verhalten nach langen Jahren des Hinhaltens nun endlich "einfach undiskutierbar" und forderte am 15.3.1965 "Bitte ALLES zurück!!"

Unter der Hand voll Publikationen, die Petersen tatsächlich verlegte, findet sich neben Hausmanns "Sprechspäne" Oskar Panizzas "Liebeskonzil", was Petersen, gegen den gerade wieder ein Verfahren wegen Verbreitung pornographischer Schriften anhängig war, kurioserweise ein weiteres Verfahren eintrug - inklusive Beschlagnahmung des fast 70 Jahre alten Textes.

Titelbild

Jes Petersen: Strontium. Briefwechsel mit Raoul Hausmann und Franz Jung.
Herausgegeben von Andreas Hansen.
BasisDruck Verlag, Berlin 2001.
295 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 386163113X

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