Gleich sterben!

Carl-Henning Wijkmarks Symposium zum Tode

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wir werden ja alle gleich alt geboren, warum sollten wir nicht gleich alt sterben?" Diese suggestive Frage stellte Caspar Storm, Mitglied eines nicht näher spezifizierten "Instituts für medizinische Ethik", auf einem streng geheimen Symposium zu dem Thema "Der letzte Lebensabschnitt des Menschen" im schwedischen Öresund. Wann genau die Tagung stattfand ist nicht bekannt geworden. Vermutlich aber in den achtziger oder wahrscheinlicher noch in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Fest steht hingegen, dass sich Carl-Henning Wijkmark den Herrn Caspar Storm ebenso wie das gesamte Symposium in einem schmalen Bändchen mit dem Titel "Der moderne Tod" ausgedacht hat, das er 1978 in Schweden publizierte und einige Jahre in der Zukunft spielen lässt. Bei dem Buch, so der Klappentext, handele es sich um eine "ernste Satire von beklemmender Aktualität".

Die Teilnehmer des fiktiven Symposiums erörtern, wie der maroden wirtschaftlichen Situation Schwedens zu begegnen sei, dessen Gesellschaft durch eine "Altenexplosion" bei gleichzeitig geringer Geburtenzahl geprägt ist. "Wir brauchen schnell Tote, um es ganz brutal zu sagen", bringt einer der Beteiligten die einhellige Meinung auf den Punkt. Die Lösung wird darin gesehen, den Altvorderen auf die ein oder andere Art nahe zu legen, in ihren baldigen Tod einzuwilligen. Um dies zu erreichen, werden zwei Möglichkeiten kontrovers diskutiert. Die eine appelliert an die Einsicht der Betroffenen in die gesellschaftliche Notwendigkeit ihres Ablebens, die andere präferiert Suggestion und Manipulation. Neben einer Verkürzung des Lebens alter Menschen wird zur Entlastung der Volkswirtschaft die Tötung von Neugeborenen diskutiert, die ein Down-Syndrom aufweisen oder an spina bifida, einem offenen Rückenmark, leiden.

Solche Absichten anzuprangern ist zwar sicher gut gemeint, aber allenfalls mäßig originell und schon gar nicht aktuell. So sind etwa die Überlegungen zur Tötung Behinderter unmittelbar nach der Geburt seit der flächendeckend durchgeführten Pränataldiagnostik längst obsolet. Doch nicht nur um die Aktualität des Buches ist es nicht zum Besten bestellt. Sein 'satirisches' Moment erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass die Vorträge und die Diskussionen des Symposiums vom Autor über weite Strecken so gestaltet wurden, wie ein Unbedarfter sich vorstellen mag, dass skrupellose Politiker, Wissenschaftler und Theologen sich unterhalten. Damit wirklich niemandem entgeht, wessen Ungeistes Kinder hier sprechen, lässt der Autor einen der Wissenschaftler beispielsweise in den Klageruf ausbrechen: "Mein Gott, wie lange müssen wir noch verleugnen, daß Hitler viele gute Ideen hatte, die auch in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen?"

Ein gewisser Herr Rönning, "dänischer Geisteshistoriker und Schriftsteller", hat in diesem Pandämonium die Rolle des einsamen Opponenten zugewiesen bekommen und ist unverkennbar das Sprachrohr des Autors, dessen Anliegen er kein bisschen satirisch vorträgt, sondern ernst, sehr ernst sogar.

Titelbild

Carl-Henning Wijkmark: Der moderne Tod. Vom Ende der Humanität.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Hildegard Bergfeld.
Gemini Verlag Diana Kempff, Berlin 2001.
103 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3935978022

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