Diskursethik versus Konstruktivismus

Holger Burckhart und Kersten Reich streiten über die Begründung von Moral

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor nunmehr gut 30 Jahren erschien die ebenso streitbare wie in den Folgejahren für die soziologische Diskussion Maßstäbe setzende Textsammlung zum "Positivismusstreit in der deutschen Soziologie" mit den bekannten Protagonisten Karl R. Popper, Ralf Dahrendorf und Hans Albert einerseits sowie Theodor W. Adorno und dem jungen Jürgen Habermas andererseits. Die damalige Diskussion krankte jedoch daran, dass beide Seiten sich von der jeweils anderen missverstanden und von deren Kritikpunkten nicht getroffen fühlten. Ganz anders hingegen die kürzlich erschienene philosophische Streitschrift zur "Begründung von Moral", die Holger Burckhart und Kersten Reich vorlegten, der Erste Privatdozent für Philosophie an der Universität in Köln, der Zweite ebendort Professor für Allgemeine Pädagogik. Zwar vertreten auch sie heftig miteinander konkurrierende Schulen - Burckhart die Diskursethik und Reich den Konstruktivismus -, doch gelingt es ihnen nicht nur, die differierenden Positionen darzustellen, sondern auch die Argumente und Kritiken des jeweils anderen nicht nur an-, sondern auch aufzugreifen. Oft vermögen es die Kontrahenten besser, die Schwächen der jeweils anderen Position aufzuzeigen als die Stärken der eigenen herauszuarbeiten.

Besonders wohltuend ist nicht zuletzt der Verzicht auf Polemik - auch dies im Gegensatz zum seinerzeitigen Positivismusstreit. Dabei ist das Buch alles andere als flüssig zu lesen und gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, die Texte dienten eher der (Selbst-)Verständigung der beiden Autoren untereinander als der Kommunikation mit Lesenden.

Anders als der Titel erwarten lässt, behandeln die Autoren nicht so sehr die Begründung von Moral, als vielmehr ihre erkenntnistheoretischen Möglichkeitsbedingungen. Insofern bewegt sich das Buch über weite Strecken auf einer Metaebene.

Dabei könnte der Dissens im Grundsätzlichen kaum stärker ausfallen. Reich zeiht die Diskursethik, metaphysische Letztbegründungsversuche zu unternehmen, und kritisiert sie als dogmatisch; Burkhart wiederum moniert, der Konstruktivismus könne "aufgrund seines Denkens gar nicht mehr Moral gehaltvoll begründen, sondern immer nur relativieren".

"In den Anwendungsfragen", darüber herrscht Konsens, "unterscheiden wir uns deutlich weniger als in den Begründungsfragen." Eine der "offensichtliche[n] Gemeinsamkeit[en]" bestehe in der Überzeugung, dass "mitverantwortliche Zivilcourage für die Gestaltung einer durch zukünftige Technologie geprägte Gefahrenzivilisation" notwendig sei.

Beschlossen wird der Band von einem Streitgespräch, das die beiden Autoren mit Jürgen Sikora führten.

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Holger Burckhart / Kersten Reich: Begründung von Moral. Diskursethik versus Konstruktivismus. Eine Streitschrift.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2000.
208 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3826017765

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