Magersucht - Erinnerungen einer Selbstzerstörung

Sybille Krauses Roman "Schwarze Milch" über ein Leben mit der Sucht

Von Sabrina HeuwinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabrina Heuwinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Auch die ziehenden Schmerzen in der Magengegend ließen schnell nach, als Melanie leer war. Ihr Atem wurde ruhiger, und sie fühlte sich erlöst von dem Übel, der Milch, die das Leben bedeutete. Sie überlegte, daß es wahrscheinlich doch leichter wäre, nur die Schwarze Milch aufzunehmen, erst gar nichts zu sich zu nehmen". "Schwarze Milch" beschreibt in einem sehr blumigen, fast kitschigen Stil die Lebens- und Leidensgeschichte der magersüchtigen Melanie. Der Leser wird Zeuge der täglichen "Essenskämpfe" der Protagonistin. Durch lebhafte Traumbilder, Gedichte und Assoziationen wird versucht, der Abstraktheit der Sucht eine sprachliche Form zu geben.

Ein Versuch, der nicht recht gelingt. Denn die an manchen Stellen unbeholfen wirkende Sprache erschwert es, den Gedanken der Hauptfigur zu folgen. Zahlreiche Wortwiederholungen und für die Handlung unerhebliche Einschübe langweilen und nehmen den Spaß an der Lektüre.

Die 16-jährige Melanie wächst unter schwierigen familiären Bedingungen auf. Die Mutter, eine Alkoholikerin, bestimmt das Leben der fünfköpfigen Familie mit ihren abwechselnden Abstinenz- und Trinkphasen. Der Vater ist der extremen Situation nicht gewachsen und verfällt in Depressionen. In der für viele Jugendliche schwierigen Phase des Erwachsenwerdens ist die Tochter auf sich allein gestellt. Voller Selbstzweifel und mit dem Gefühl, nicht geliebt zu werden, verfällt sie der Magersucht.

In ihrer Fantasie bastelt sie sich ihre eigene heile Welt und entflieht in Tagträumen der Realität. In Gedanken sieht sie das Bild einer zarten, schlanken Fee vor sich und versucht, durch Hungern diesem Ideal nahe zu kommen. "Ihre innere Welt spaltete sich auf in Hier und Dort. Das Hier ward ihre Feenwelt, und das Dort ihre Welt des Irrtums." Immer wieder flüchtet sie in ihrem Hungerwahn vor dem täglichen Chaos zu Hause in die imaginäre "Welt der Feen". Wie ein strenges "Über-Ich" bestimmen diese "Feen" Melanies Leben. In schwierigen Situationen sprechen sie zu ihr und stehen so symbolhaft für den schweren inneren Konflikt, den sie auszufechten hat. Im Kampf gegen den eigenen Körper strebt sie ein Ideal an, dass sie doch nie erreichen kann. Selbst zu dem Zeitpunkt, da sie auf 35 Kilogramm abgemagert ist, lassen sie die Schuldgefühle nicht los. Obwohl sich die Protagonistin ihrer Sucht durchaus bewusst ist, kann sie sich nicht aus dem Teufelskreis befreien.

Mit der Diagnose "Anorexia nervosa" ins Krankenhaus eingeliefert, wird die Magersucht der jungen Frau erstmalig behandelt. Sie muss zwangsernährt werden und verlässt das Hospital mit dem Versprechen, sich künftig verantwortungsbewusst zu ernähren. Ein Versprechen, dass sie nicht halten kann.

Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester und zwei kürzeren Beziehungen lernt sie ihren späteren Ehemann, den an Multipler Sklerose erkrankten Daniel, kennen, mit dem sie drei Kinder hat. Doch die Sucht überschattet auch weiterhin das Leben der Familie.

Dem Buch ist nicht zu entnehmen, ob die Protagonistin zeitweise frei von jeglichen Essstörungen leben kann. Auch von einer Therapie ist nicht die Rede. Die Autobiographie endet mit der Beschreibung des alltäglichen Lebens der inzwischen dreifachen Mutter und Ehefrau und lässt viele Fragen offen.

Eindrucksvoll ist die Darstellung des Doppellebens der Protagonistin. Für ihre Umwelt lebt sie ein ganz normales glückliches Leben. Sie ist ständig darum bemüht, ihr gestörtes Essverhalten vor ihren Mitmenschen zu verheimlichen, ist mit ihren Problemen auf sich selbst gestellt.

Der Titel des Romans, "Schwarze Milch", irritiert: Er wirkt anmaßend, da keine echte Parallele zu Celans vielzitierter "Todesfuge" auszumachen ist.

Letztendlich muss man wohl konstatieren, dass die Autobiographie ein schlecht verbrämter Tatsachenbericht ist, der anhand der Hauptperson beispielhaft ein Leben mit der Magersucht dokumentiert. Der Wert des Buches liegt in der Authentizität der Geschichte. Für Betroffene und speziell am Thema Interessierte; für alle anderen ohne Belang.

Titelbild

Sybille Krause: Schwarze Milch. Magersucht - Erinnerungen einer Selbstzerstörung.
Karin Fischer Verlag, Aachen 1998.
155 Seiten, 10,70 EUR.
ISBN-10: 3895141763

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