Abenteuerliches über Abenteurer

Richard Reschika portraitiert elf philosophische Außenseiter

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchen Büchern widerfährt das Pech, dass ihr Verfasser die Lesenden schon auf den ersten Seiten gegen sie einnimmt. Zu ihnen zählt Richard Reschikas Band „Philosophische Abenteurer“, in dem er es unternimmt, elf von akademischer Seite „unterdrückte[n]“ Außenseitern der Philosophiegeschichte Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Dabei nimmt er die Ungerechtigkeit gegenüber kanonisierten Philosophen in Kauf, zu suggerieren, sie hätten es nicht ihren philosophischen Leistungen zu verdanken, dass sie „Eingang ins sakrosankte ‚Pantheon der Philosophie‘“ gefunden hätten, sondern ihrem „Glück“. Andere hingegen, so der Autor weiter, seien vergessen, wenn nicht gar absichtsvoll totgeschwiegen worden, damit die an den Universitäten betriebene „Professorenphilosophie für Philosophieprofessoren“ ihren Größen „umso devoter huldigen“ könne. Dergestalt bedient der Autor schon auf den ersten beiden Seiten nicht nur gängige Klischees und Vorurteile gegenüber der universitären Philosophie, sondern lanciert geradezu eine Verschwörungstheorie.

Nun gelingt es manchen Autoren, den eingangs hervorgerufenen Unwillen der Lesenden im Laufe der Lektüre zu bannen und in Wohlwollen umschlagen zu lassen. Nicht so Reschika. Zu zahlreich sind die anfälligen Kritikpunkte. So fällt nicht nur auf, dass es ihm nicht gelungen ist, auch nur eine einzige abenteuernde Philosophin ausfindig zu machen, was umso mehr erstaunt, als gerade sie über die Jahrhunderte hinweg stets Außenseiterinnen der Philosophiegeschichte waren und es für sie alleine schon ein Abenteuer bedeutete, sich in die Altherrenriege der philosophierenden Gilde zu begeben. Und wenn der Autor der Auffassung ist, dass Julian Offray de La Mettrie, Ludwig Klages oder Paul Virilio zu den vernachlässigten Außenseitern gehören, um wie viel mehr trifft das dann etwa auf Moderata Fonte, Margarete Cavendish oder auch Mary Daly zu. Dem misogynen Desiderat gesellt sich als ‚ergänzendes‘ Manko zur Seite, dass Reschika, der nur ungern einen Schatten der Kritik auf seine Lichtgestalten fallen lässt, den schroffen Sexismus einiger seiner „Abenteurer“ lieber verschweigt; so etwa den Eduard von Hartmanns, Philipp Mainländers oder E. M. Ciorans, die zumindest in Sachen Misogynität keine abenteuerlichen Wege beschritten, sondern – bei allem Nihilismus und Pessimismus – freudig im mainstream mitschwammen. Gerne kolportiert Reschika hingegen, dass Frauen für Philosophen leicht zur Lebensgefahr werden können. So sei Julius Bahnsen von einer „unerwiderte[n] Jugendliebe“ beinahe in den „Selbstmord“ getrieben worden; auch habe nicht viel gefehlt, dass Ludwig Klages wegen Franziska zu Reventlow Suizid begangen hätte. Abgerundet wird das Bild einvernehmlicher Frauenfeindlichkeit durch die kaum verhohlene Bewunderung, mit der Reschinka berichtet, dass sich Cioran rühmte, „überzeugter […] Bordellgänger“ zu sein.

Reschinkas Wille zum Lob seiner Helden lässt ihn gelegentlich abenteuerliche philosophiegeschichtliche Pirouetten schlagen. Etwa, wenn er Kants Kategorischen Imperativ durch La Mettries Maxime, man solle „keinem das antun, was er nicht will, daß man ihm antut“, vorweggenommen sieht. Das ist nun allerdings kaum mehr als eine krude ethische Faustregel und hat mit Kants Kategorischem Imperativ rein gar nichts zu tun. Dafür aber handelt es sich um eine alles andere als originelle, sondern bloß vereinseitigte Form der „Goldenen Regel“, die bekanntlich besagt, man solle sich seinen Mitmenschen gegenüber so verhalten, wie wir wünschen, dass sie sich uns gegenüber verhalten sollen. Diese findet sich bereits in der Bibel, war Herodot nachweislich bekannt und wird als Erstem Thales von Milet (ca. 624 v. Chr. – ca. 547 v. Chr.) zugeschrieben. Auch ist nicht nachzuvollziehen, wieso Reschika Karl Marx, der gerade mal 13 Jahre jünger als Max Stirner war, nicht zu dessen Zeitgenossen rechnet, sondern der Nachwelt zuschlägt.

Bei all dem beweist der Autor ein besonderes Faible für nihilistische und pessimistische Strömungen – was allerdings durchaus nicht kritikwürdig ist. So gehören nicht nur die Nihilisten Max Stirner und E. M. Cioran zu den elf zu Unrecht vernachlässigten Philosophen, denen er mehr Profil verleihen will, sondern auch das Dreigestirn der Nichtigkeit in der Nachfolge Schopenhauers: Julius Bahnsen, Philip Mainländer und – nun ja – Eduard von Hartmann, der zwar heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, seinerzeit aber der Modephilosoph par excellence war, und dessen Schriften bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein immer wieder Neuauflagen erlebten. Nicht alle von Reschinka profilierten Philosophen sind also Außenseiter gewesen, auch sind sie nicht alle so ganz und gar vergessen und verdrängt, wie der Autor meint. Mainländers Name etwa ist in seinem „Geburts- und Sterbeort“ durchaus nicht „so gut wie unbekannt“, hat die Stadt Offenbach doch erst im Frühjahr 2001, anlässlich des 125. Todestages ihres philosophierenden Sohnes, nicht nur ein Symposium ausgerichtet, sondern zudem eine Ausstellung organisiert.

Titelbild

Richard Reschika: Philosophische Abenteurer. Elf Profile von der Renaissance bis zur Gegenwart.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2001.
289 Seiten, 13,20 EUR.
ISBN-10: 3825222691

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