Versenkbare Schreibmaschine in der Praxis

Gedichte und Erzählungen von Dichter-Ärzten

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arzt und Dichter - lässt sich eine spannungsvollere Doppelexistenz denken? Für Anton Cechov gestaltete sich das Verhältnis so: "Die Medizin ist meine gesetzliche Ehefrau, die Literatur meine Geliebte. Wenn mir die eine auf die Nerven fällt, nächtige ich bei der anderen. Das ist meinetwegen unanständig, aber dafür nicht langweilig. Und darum verlieren auch beide nicht durch meinen Treuebruch. Hätte ich nicht meine Medizin, so würde ich in meinen Mußestunden meine überflüssigen Gedanken wohl kaum der Literatur widmen."

Bilden Medizin und Literatur also eine perfekte Symbiose? Liefert die eine Anregung und Stoff für die dichterische Produktion und schärft die andere das ärztliche Einfühlungsvermögen? Der Blick in die Literaturgeschichte scheint das zu bestätigen: Auffallend viele Schriftsteller waren oder sind Ärzte oder durchliefen zumindest eine medizinische oder psychologische Ausbildung, von Arthur Conan Doyle bis zu Peter Bamm, von Justinus Kerner bis zu William Carlos Williams, von Antonio Lobo Antunes bis zu Ernst Augustin. Wie viele Ärzte, außer den literarhistorisch bekannten, außerhalb ihrer Arbeitszeit noch geschrieben oder gedichtet haben, lässt sich nur erahnen.

Außerhalb ihrer Arbeitszeit? Wenn man, wie Williams, eine im Schreibtisch versenkbare Schreibmaschine sowie die Gabe des sekundenschnellen "Umschaltens" besitzt, kann man freilich auch während der Öffnungszeiten einer stark frequentierten Praxis schreiben: "Ich brauchte nur die Platte, auf der die Schreibmaschine befestigt war, hochzuziehen, und schon konnte ich anfangen. Ich arbeitete mit höchster Geschwindigkeit. Kam, während ich gerade mitten in einem Satz war, ein Patient herein - schwupp, war die Maschine versenkt, und ich war wieder Arzt. Kaum war der Patient gegangen, tauchte wieder die Maschine auf."

Sind Dichter wirklich die besseren, die sensibleren, emphatischeren Ärzte? Auch das Beispiel des Kehlkopf-Spezialisten Arthur Schnitzler scheint diese romantisierende These in Frage zu stellen: "Mein Widerwille gegen Publicum, Aerzte, Praxis, Medizin erheblich gestiegen", notierte er frustriert in sein Tagebuch. "Mich ekelt vor den Patienten, vor den Collegen, vor allem, was mich an den Beruf erinnert." Dass aber Ärzte die besseren Dichter sind, dass es vor allem der Dichter ist, der vom Arzt profitiert, das bestätigen die Erzählungen und Gedichte, die unter dem Titel "Herznaht" von Hanne Kulessa herausgegeben wurden und die auf ihre Weise immer auch ein Stück Medizingeschichte vermitteln. Kleinode birgt die Sammlung, etwa die Titelgeschichte von Ernst Weiss oder frühe Gedichte von Gottfried Benn, die parallel zu Benns Besuch eines Sektionskurses im Moabiter Krankenhaus entstanden. Oder Alfred Döblins Erzählung "Die Tänzerin und der Leib". Ergänzt werden die Texte von einem klugen Nachwort und erhellenden Kurzbiographien.

Das Vorurteil, dass für den Dichter der Beruf des Arztes wohl der Brotberuf ist, wird von diesen Biographien jedoch in Frage gestellt. Allzu oft war es gerade umgekehrt. Den meisten hätte das Honorar, das ihnen ihre Praxis einbrachte, allenfalls zum Überleben gereicht. Schreiben war nicht nur eine Leidenschaft oder eine Art psychisches Ventil - vielen sicherte es auch den Lebensunterhalt. So macht die Anthologie ganz nebenbei auch auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Ärzten in der Vergangenheit aufmerksam.

Titelbild

Hanne Kulessa (Hg.): Herznaht. Ärzte, die Dichter waren - von Benn bis Schnitzler.
Europa Verlag, Hamburg 2001.
224 Seiten, 15,10 EUR.
ISBN-10: 3203791900

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