Vorbemerkung: Mit Frank Sinatra im Baseball-Stadion
Don DeLillos eindrucksvolle Geschichtserzählungen
Von Lutz Hagestedt
Amerikas Geschichte, damit auch unsere Geschichte, geht in Bildern um die Welt, in Bildern, die zu Ikonen und Symbolen reifen, als Souvenirs gehandelt, auf Werbeflächen verbreitet und als Memento mori begriffen werden. Kein anderer Autor setzt so sehr auf die Sprache der Bilder und die Macht des Visuellen wie der amerikanische Romancier Don DeLillo. Seine Bücher sind, ähnlich wie die künstlerischen Arbeiten Andy Warhols, Ausdruck unserer populären Kultur.
In seinem neuen Roman, seinem Opus magnum "Unterwelt", erzählt Don DeLillo die fünfzigjährige Geschichte des Kalten Krieges. Und zur Eröffnung seines knapp tausendseitigen Romans wählt DeLillo wiederum ein Bild, eine Bilderfolge, die hervorragend geeignet ist, die Geschichte der letzten fünfzig Jahre auf den Punkt zu bringen.
Der Prolog schildert den Kampf zweier Baseball-Mannschaften um die Meisterschaft 1951 in New York. Homer Branca von den Brooklyn Dodgers wirft den Ball, Bobby Thomson von den Giants pariert ihn mit dem Schläger. Wie ein Komet schießt der Ball durch den Raum, darin der durchs Weltall rasenden Kotkugel vergleichbar, auf der Menschen leben und Nylonstrümpfe verkaufen. Der Baseball landet in den Rängen der Zuschauer und ist sofort heiß umkämpft. Bill Waterson und Cotter Martin, ein Weißer und ein Schwarzer, streiten eisern und verbissen um den Besitz dieser Trophäe, so, wie die beiden Weltmächte versuchen, den Globus in ihren eisernen Griff zu bekommen. Denn im gleichen Augenblick, in dem dieser Schlagball den Sieg der Giants über die Dodgers herbeiführt, führen die Sowjets ihren zweiten Atomtest im fernen Kasachstan durch. Das Wettrüsten der beiden Supermächte hat begonnen.
Trotz seiner Länge ist "Unterwelt" ein Episodenroman, einem Rosenkranz vergleichbar, der Geschichte durch Geschichten erzählt. So gibt es keinen durchgängigen Helden, keinen fixen Fokus. Wie Perlen auf einer Schnur lesen sich auch die biographischen Stationen des Baseballs, der seit 1951 immer wieder den Besitzer wechselt und zur teuren Reliquie wird. Das im einzelnen nachzuvollziehen, ist an dieser Stelle unmöglich: Peter Kock unternimmt in seiner Strukturanalyse den Versuch, die Zeitstruktur mit ihren spezifischen Verwerfungen darzustellen. Sein Essay ist zugleich ein Durchgang durch die Leitmotivik und Motivgenese des Romans.
Wie Perlen auf einer Schnur reihen sich Don DeLillos Romane zum Gesamtwerk auf. Sie bilden ein zusammenhängendes und konsistentes Korpus. Uwe Wittstock begleitet Don DeLillo und sein Werk seit vielen Jahren, er hat ihn getroffen und als begnadeten Erzähler portraitiert: Mit zwei Texten lädt er uns ein, am schrecklich-schönen Konsum von Amerikas Lieblingsalptraum teilzuhaben.
literaturkritik.de ist natürlich nicht die erste Zeitung, die Don DeLillo im Internet präsentiert. Eine der schönsten und reichhaltigsten DeLillo-Homepages ist unter der Adresse www.haas.berkeley.edu/~gardner/delillo.html abrufbar. Viel Vergnügen beim Surfen.