Die Poesie der Begriffe

Über das Begriffsstudio von Monika Rinck

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine charmante und durchaus spannende Sammlung sprachlicher Entgleisungen ist das "Begriffsstudio" von Monika Rinck. Fünf Jahre lang recherchierte die Lyrikerin verblüffende Stilblüten unterschiedlichster Provenienz: logische Verhaspler, semantische Invaliden oder Ausfallerscheinungen heißblütiger Rhetorik. Ins Album kam, was den Sinn hinter den Klang zurückstellte, das Teil- oder das Über-Richtige, die Bemühung um Poetizität genauso wie die daran uninteressierte Konstruktion von Eintagsworten.

Aus dem anfänglichen Mail-Art-Projekt konnte zwangsläufig kein "sanatorium der vernunft" entstehen. Fokussiert war der "Begriff" in einer speziellen Deutung: als Individuum und Sonderfall im Alltag der Sprache. Der "knackige Code" (Norbert Hummelt) ist Exot und Abweichler und das Begriffsstudio die Konkordanz zu einer ausgeuferten Sprache. Interessant und botanisierbar schien alles, was sich ins Absurde hin öffnete. Feuilletonistische Malheurs oder Elemente poetischer Begabung. Seltsame Zwitterwesen, Hieroglyphen und Kreolen.

Mit Lust am neologistischen Zungenschlag okkupierte die Sonde "Begriffsstudio" alles, was sich als "incomplete semi-thought", verrätselt-visionäre Chiffre oder weitschweifige Formulierung erwies. Resultat der Sichtungen ist ein tausendgliedriges Lexikon von Fehlleistungen und "Kommunikationsübererfüllungen". Hier konkurriert die Genitivgewagtheit mit dem "disparaten fragment" um den elegantesten "durchbruch zur vagheit". In jenem "studio der umzingelten stellen" gelten vorrangig die sprachlichen Errungenschaften von Affekt oder Anspruch, die von der langweiligen Parade des Rationalen üblicherweise als Ballast über Bord geworfen werden.

Eigentlich ist die Rincksche Archivmaßnahme ein Hohelied auf den obskuren Begriff und dessen Produktivität für die Sprache. Denn das Begreifbare, das energisch von der Kommunikationsrichtigkeit Auferlegte, ist viel seltener prächtig als ein neugierig tastender Begriff, dessen Inhalte neu sind, noch unausgedeutet oder unausdeutbar. Das "schizophragma" etwa, um einen Begriffsstudiobegriff zu nehmen, ist wegen der kaum eindeutigen Referentialität vielleicht ein rettungslos flüchtiger Ausdruck, andererseits jedoch höchst poetisch und in seiner Benennungsoffenheit eventuell unvermutet dynamisch. Und Benennungen wie "chessradio" oder "fönwelle stefan george" verweisen einfach auch auf eine abgefahrene Welt.

Es geht aber nicht nur um die Haltbarmachung fragwürdiger verbaler Existenzen. Mit der Akribie des Empirikers wird im Begriffsstudio expressis verbis gezeigt, wie Sprache Fallen bildet. Ironie führt zwar die Schere, aber der Begriff konterkariert sich letztlich selbst. Eine scheinbare sprachliche Brillanz, von ihrer Einbettung isoliert, wird im Handumdrehen als zu hochtrabendes Para-Philosophem oder blinder Solipsismus enttarnt ("die würde des unerkennbaren").

Die spielerisch kommentierte Edition "Begriffsstudio" zeigt in vielerlei Hinsicht interessante Exemplare von "Parallelpoesie". Ob "hinreißend umständlich" oder profan verdorben: in jenem undidaktischen Wächterstück ist das Seltsame das Richtige.

Titelbild

Monika Rinck: Begriffsstudio 1996-2001.
Edition Sutstein, Berlin 2001.
160 Seiten, 16,32 EUR.
ISBN-10: 3932731069

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