Neun Geschichten aus der Fremde

Julia Schochs poetisches Erzähldebüt "Der Körper des Salamanders"

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Julia Schoch erzählt Geschichten aus der Fremde. Die oder das Fremde findet Schoch aber nicht auf fernen Kontinenten, sondern in den mindestens ebenso unbekannten Regionen des östlichen Europas und vor allem in dem einst umzäunten politischen Atlantis, das man, je nach Gesinnung, in Anführungszeichen setzte oder nicht.

Die Erzählungen ihres Debütbandes "Der Körper des Salamanders" werden beherrscht von den unwirklichen Stimmungsbildern einer teilweise abstoßenden Umgebung, die zugleich Spiegel einer ins Wanken geratenen Seelenlandschaft sein kann. Handlung und Aktion treten hinter diese Beschreibungen zurück oder überschreiten selbst die Grenzen des Realen.

Für solche Grenzverschiebungen hat die 1974 geborene Autorin ein besonderes Gespür. Eine erste literarische Öffentlichkeit fand sie übrigens beim Berliner Open Mike-Literaturwettbewerb 1999, der sich zunehmend zum Sprungbrett spontaner Literaturkarrieren zu entwickeln scheint. Ihr Studium führte sie unter anderem nach Bukarest, wo auch eine ihrer Erzählungen situiert ist. Dort zeugen nach Ceausescus Tod die Filme von Jackie Chan, die in ungeheizten Kinos gespielt werden, von der neuen Ära, die den frierenden Menschen zu viel versprochen hat, was sie doch nicht halten konnte. Ein junges Pärchen aus Deutschland lebt in dieser auch für die Einheimischen fremd gewordenen Stadt und hat sich ein großes Ziel gesetzt: Sie sind auf der Suche nach der Weltformel, die sich aus den Ergebnisdiagrammen unzähliger Würfelspiele herauskristallisieren soll.

Zwar suchen und grübeln fast alle Protagonisten in Schochs Geschichten, aber nicht alle entwickeln einen derart universaltheoretischen Ehrgeiz.

Herr Quantitschek beispielsweise, ein seniler Greis, träumt von der Fremde, da sie ihm vertrauter scheint als sein gegenwärtiges Leben, das sich in einem kleinen Zimmer zur Untermiete im Haus der Tochter und des Schwiegersohns abspielt. Er imaginiert sich ein Fluchtvehikel, ein selbst gebasteltes Flugzeug, studiert Landkarten und wünscht sich statt unproduktiver aber abwechslungsreicher Besuche von Staubsaugervertretern lieber Verkäufer, die Nützlicheres im Angebot haben - Flugbrillen und Kapuzenhelme etwa. Seine Flucht wird freilich vereitelt: durch die gut gemeinte Zwangsverschickung ins Seniorenheim.

Für Leser wie Figuren bleibt oft im Dunkeln, was genau man sich in der Fremde zu finden erhofft: "Eigentlich weiß ich nicht mehr, warum ich hierhergekommen bin. [...] Ich sollte Ihnen etwas mitteilen, dann wollte ich Sie warnen, und nun möchte ich nur noch abreisen." Die Frau, die diese Worte spricht, wurde als Pelikanbeobachterin in den entlegensten Winkel Ost-Europas, ans Donaudelta nach Bulgarien geschickt. Vorerst findet sie keine Pelikane, dafür einen versprengten australischen Rucksacktouristen, dessen Onkel eine Pelikan-Farm betreibt - immerhin etwas. Erst am Tag ihrer Abreise, bereits auf dem Fährschiff, soll sie doch noch ihren "ersten Pelikan" sichten. In solchen Momenten entdeckt man in der Prosa Julia Schochs sogar so etwas wie Humor, der geradezu exotisch wirkt in der wüstenhaften Handlungsarmut und Tristesse, die ihren Erzählstil prägen und nicht ohne poetischen Reiz sind.

Titelbild

Julia Schoch: Der Körper des Salamanders. Erzählungen.
Piper Verlag, München 2001.
171 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3492043755

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch