Aufatmen

Gerhard Richters übermaltes "Firenze"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor einigen Jahren fragte das Kunstmagazin "art" Experten aus aller Welt, welchen Maler sie für den bedeutendsten der Gegenwart halten. Das Ergebnis fiel deutlich für den in Köln lebenden, 1932 in Dresden geborenen Gerhard Richter aus. Dieser Künstler überrascht seit Jahren mit einem stetigen Changieren zwischen gegenständlicher und abstrakter Malerei. Für die gegenständlichen Bilder benutzt Richter meist Fotografien als Vorlage, wobei vor allem seine "unscharfen" Landschaftsimpressionen, zahlreiche Portraits und nicht zuletzt der eindringliche Zyklus "18. Oktober 1977", der die jüngste deutsche Geschichte und die Gattung der Historienmalerei zugleich reflektiert, bekannt sein dürften. Das Prinzip der Unschärfe, des Verwischens, deutet dabei auf die Unmöglichkeit einer realistisch-wahrhaftigen Darstellung, auf eine Unsicherheit der Interpretation, auf Unwiederbringlichkeit, Sinnverweigerung und Trauer, wie der Kunsthistoriker Martin Henatsch es einmal auslegte. Zugleich werden die Materialität der Malerei, deren Möglichkeiten und Grenzen offenbar. Gleichzeitig sollen die Bilder zum Vergleich mit der Wirklichkeit anregen, sie sind doch mehr oder weniger ungenaue, falsche oder halbwahre "Abbilder der Wirklichkeit", so Richter in einem Interview. Die abstrakten Bilder hingegen leben von dem Wunsch, "etwas darin erkennen zu wollen. Sie bieten Ähnlichkeiten an, die wir zuordnen wollen." Dem scheint ein Moment der Entspannung innezuwohnen, da Richter betont, dass das abstrakte Malen "so etwas Selbstverständliches wie Atmen oder Laufen" sei.

In seiner neuen Publikation "Firenze" treffen nun Gegenständlichkeit und Abstraktion aufeinander. Bereits seit 1989 übermalt Richter Fotografien, wodurch eine Werkgruppe kleinformatiger Bilder entstand, die, obgleich selten ausgestellt, als Schnittstelle zwischen mimetischer Darstellung und autonomer Malerei angesehen werden kann. Zwischen November 1999 und März 2000 schuf er 103 bislang nicht ausgestellte, übermalte Fotografien, denen eigene Aufnahmen vorwiegend aus Florenz zu Grunde liegen; 100 dieser Werke finden sich in dem Kunstband "Firenze". Die Sammlung an Fotografien wurde durch in Köln entstandene Aufnahmen und einen einzelnen Schnappschuss des Schiefen Turms von Pisa ergänzt. Richter hat alle rechteckigen Abzüge, so referiert Dietmar Elger in seinem Nachwort die Genese dieser Serie, auf ein einheitliches Quadrat von 12 x 12 cm beschnitten. Dies entspricht der Größe einer Compact Disc, was darin begründet liegt, dass zuerst eine Edition mit beiliegender Musik-CD geplant war. "Firenze" präsentiert die Reproduktionen in einem um einen Zentimeter vergrößerten Format. Die fingierte Datierung der Bilder dient einzig und allein der Identifikation und Katalogisierung. Das heißt, es wird keine chronologische Erzählung mit der Werkgruppe angestrebt, eher lassen sich der Abstraktion einzelne Bildthemen entnehmen. Entscheidend ist vielmehr das Verhältnis von Realität, Illusion und der eigenständigen Verfremdung und Manipulation des festgehaltenen Wirklichkeitsausschnittes durch die Malerei.

Richter zog die Bildflächen der Fotos über die noch feuchte Farbe auf den breiten Rakeln, mit denen er zuvor großformatige Bilder gestaltet hatte, eine Produktionsweise, die von fehlender Kontrolle und Spontaneität lebt. Dabei orientiert sich die Malerei - sofern man bei einem vermeintlichen "Zufallsprodukt" von einer zielgerichteten Orientierung sprechen kann - oft an der Struktur und der Farbgebung des einzelnen Bildmotivs, sei es der Florentiner Dom, der Arno oder die Wälder um das neue Atelierhaus in Köln. Nur leichte Zeitunterschiede lassen sich erkennen, so dass allein die Bearbeitung das Bild zur Variation werden lässt. Manche Fotos sind in Abschnitte unterteilt, gelegentlich lässt die Farbe Konturen der Architektur durchschimmern, die sie andernfalls vollkommen verdeckt. In besonders gelungenen Arbeiten scheint sich die Malerei für einen kurzen Moment mit der Fotografie zu einer weiteren Illusion zu verbinden, die allerdings nicht von Dauer ist, da dem Blick des Betrachters der Halt im Gegenständlichen fehlt. So verweisen die, nebenbei in ihrer oberflächlichen Befremdlichkeit sehr reizvollen und ansprechenden Bilder einmal mehr auf ein großes Thema Richters, das er in einem Gespräch, welches das Nachwort zitiert, umreißt: "Die Photographie hat fast keine Realität, sie ist fast nur Bild. Und die Malerei hat immer Realität, die Farbe kann man anfassen, sie hat Präsenz: Sie ergibt aber immer ein Bild. [...] Ich habe kleine Fotos gemacht, die ich mit Farbe beschmierte. Da ist etwas von dieser Problematik zusammengekommen." Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis von unerschiedlichen medialen wie qualitativen Darstellungsweisen wird in "Firenze" qua Reproduktion in vorzüglicher Weise transportiert.

Titelbild

Gerhard Richter: Firenze. Mit 100 farbigen Abbildungen.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Dietmar Elger.
Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 2001.
122 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3775710582

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