Die liebe Ordnung

Peter Greenaways filmischer Referenzkosmos

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Werk des Briten Peter Greenaway ragt geradezu monolithisch aus einer an seinem Ausdruck gemessen recht karg und flach wirkenden Filmlandschaft heraus. Seine Filme tragen eine unverwechselbare visuelle Signatur, mit der nicht nur selbstreflexiv auf den eigenen Kunstcharakter verwiesen wird, sondern immer auch halb ironisch auf die intellektuelle Arroganz ihres Schöpfers. Seine Filme neigen zur "formalistischen Überdeterminiertheit" - nicht die erzählte Geschichte steht im Vordergrund, sondern ihre formale Gestaltung und der Akt der Repräsentation selbst.

Vor allem die eklektizistische Tendenz zu einer medienübergreifenden Intertextualität hat dem Regisseur den Ruf des Postmodernisten par excellence eingebracht. Man darf aber darüber spekulieren, ob es nicht auch die komplexe Singularität seines Werks ist, die zur vereinfachenden Klassifizierung mit Hilfe dieses unscharf umrissenen Passepartoutbegriffs reizt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob sich hinter den Greenaway'schen Zitationsorgien mehr versteckt, als ein lustvolles akademisches Spiel für Kunstbeflissene und Medienwissenschaftler.

Der Kieler Medienwissenschaftler Christer Petersen spürt in seiner Untersuchung unter anderem der Frage nach, ob die Bewegung der Postmoderne das Werk Peter Greenaways tatsächlich unter Beschlag nehmen darf. Diesbezüglich untersucht er die für Greenaways Filme typischen rekurrenten Ordnungs- und Referenzsysteme, um sie dann im Licht der Postmoderne-Diskussion zu spiegeln.

Der Nachweis von seriellen, symmetrischen und intertextuellen Strukturen als formales, aber auch inhaltliches Prinzip fällt bei Greenaway freilich nicht schwer, sie springen dem geschulten Betrachter ins Auge und signalisieren so in jeder Einstellung den Artefaktcharakter des Mediums. Ob es nun Darwins Evolutionstheorie in "Ein Zett und zwei Nullen" (1985) ist oder das Kreis- und Wiederholungsprinzip in "Der Bauch der Architekten" (1986) - die Filme verweisen oft noch im kleinsten Detail auf die ihnen zugrunde liegenden Ordnungssysteme, dekonstruieren sie gleichsam, entlarven sie als trügerisch und arbiträr. Wenn im Prolog zur "Verschwörung der Frauen" (1988) ein seilspringendes Mädchen Himmelskörper aufzählt und bei Einhundert mit dem Hinweis abbricht, "Einhundert sind genug", dann wird damit auf die völlige Willkür bei der Festlegung des diesen Film strukturierenden Prinzips hingewiesen, der dann tatsächlich, nachdem sich die Zahlen von Eins bis Hundert durch die Story geschlängelt haben, aufhört.

Was Petersen mit seinem Nachweis von Intertextualität bis hierhin unternommen hat, ist zwar präzise und stimmig, aber nicht wirklich neu. Dagegen überquert er im letzten, freilich etwas kurz geratenen Kapitel die Grenzen einer rein werkimmanenten Analyse und widmet sich der schwierigen kontextuellen Positionierung dieses ungewöhnlichen Regisseurs; ein Unternehmen, vor dem sich die meisten Publikationen zum Thema bislang ein wenig gedrückt haben. Für Petersen landen Greenaways Filme nicht einfach in der Schublade der Postmoderne, sondern nehmen eine - ganz der postmodernen Terminologie angemessene - hybride Stellung ein. Zum einen verweigert sich Greenaway mit Vehemenz dem von Fiedler postulierten border-crossing zwischen Kunst und Kitsch, freilich zu Ungunsten des Kitsches, und auch scheint der "Tod des Autors" angesichts der in jeder Einstellung präsenten, ordnenden Hand des Regisseurs als poststrukturalistisches Diktum nicht wirklich zu greifen. Dennoch findet Petersen auch überzeugende Belege, die für eine Verortung des Regisseurs innerhalb des fraglichen Diskurses sprechen. So etwa die Ausstellung der Ordnungssysteme als völlig arbiträre Konstruktionen oder das Spiel mit referenzlosen Zeichen, das in der völligen Loslösung des filmischen Bildes von einer außerfilmischen Realität durch elektronische Verfremdung gipfelt.

Selbst dem ausgewiesenen Kenner wird bei der Lektüre von Petersens Untersuchung noch so manches Aha über die Lippen kommen, denn so genau wie er hatte man dann doch nicht hingeschaut. Die Detailfreude eines Verfassers kann ja schnell zur Detailverdrossenheit auf Seiten des Lesers führen, aber Petersen vereint akademische Gründlichkeit mit unakademischer Prägnanz, und so kann er auf rund 140 Seiten die Ordnungsliebe des Regisseurs gründlich darlegen, ohne sich im unendlichen Referenzkosmos Greenaways zu verlieren.

Titelbild

Christer Petersen: Jenseits der Ordnung. Das Spielfilmwerk Peter Greenaways. Strukturen und Kontexte.
Verlag Ludwig, Kiel 2001.
144 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3933598184

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