"Wehmütiger" Blick ins Goldene Zeitalter

Ansgar Fürst resümiert die Bonner Republik

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Deutschland war sie eine Epoche, die noch ihresgleichen sucht in einer langen, wechselvollen und oftmals sehr dunklen Geschichte des Landes: die Bonner Republik. Die rund fünfzig Jahre ihres Bestehens bedeuteten eine erstaunliche Stabilität und Normalität. Waren Größenwahn, Überheblichkeit und Hybris die Schlagworte des "Dritten Reiches" gewesen, so zeichnete sich die Bonner Republik vor allem durch Bescheidenheit aus: Verzicht auf die Wiederbesetzung der alten Staatsinstitutionen auf Berliner Boden, Zurückhaltung in puncto Symbolik und Pathos, "Nie wieder Auschwitz". Doch was prägte sie sonst, wie ist sie heute, im Berliner Rückblick auf eine abgeschlossene Epoche, zu bewerten? Ansgar Fürst, der Staatskundler und ehemalige Chefredakteur der "Badischen Zeitung", gibt nun in seinem Buch "Die Bonner Republik" hierüber Auskunft.

Er beschreibt, wie entscheidend und prägend die Grundsatzentscheidungen und -ausrichtungen waren, die in jener Epoche in Bonn getroffen wurden - sie kennzeichnen unser Staatsverständnis bis heute. Detailliert und dennoch in prägnanter, journalistischer Kürze resümiert Fürst kapitelweise die Geschichte der Bonner Jahre. Von der durch Adenauer forcierten Entscheidung für Bonn als Bundeshauptstadt über die Soziale Marktwirtschaft als Leitideologie und die Wiederbewaffnung bis hin zu den Notstandsgesetzen, der 68er-Bewegung und dem berühmten Warschauer Kniefall Willy Brandts. Fürsts Staatsgeschichte endet - wie könnte es anders sein - mit der Wiedervereinigung, die den Schlusspunkt und gleichzeitig den krönenden Höhepunkt der Bonner Republik markiert: als Erfüllung des Traumes, der zum Grundverständnis der noch jungen Demokratie gehörte und ebenso ihren provisorischen Status kennzeichnete. Alle diese Ereignisse beleuchtet der Verfasser nicht vollkommen unparteiisch, sondern mit sympathischer Anteilnahme, "das Aroma der entscheidenden Momente wachzurufen", wie Ralf Dahrendorf im Vorwort des Buches bekundet. Fürst lässt seine Sympathien und Antipathien erkennen - etwa gegenüber Konrad Adenauer, den er wegen seines riskanten Wagemuts würdigt, ohne seine monarchischen Herrschaftszüge aus der Betrachtung herauszunehmen oder zu salvieren.

Deutlich wird beim Studium der "Bonner Republik", wie hart uns heute selbstverständliche Positionierungen und als gesellschaftlicher Konsens geläufige Standpunkte erkämpft werden mussten in jenen Jahren - und wie viel Glück und Geschick gleichzeitig den Weg des Staates begleiteten. Die Eingliederung in die Nato und die Wiederbewaffnung, das Wirtschaftswunder, das aus dem zerstörten Land schon bald die stärkste Wirtschaftsmacht des Kontinents machte, die Politik der vorsichtigen Annäherung an den Osten - all diese Ereignisse sind prägend bis heute; sie bilden das Fundament, auf dem unsere so selbstverständlich gewordene Demokratie bis in ihre Berliner Tage fußt.

Hierin liegt denn auch das Hauptverdienst Fürsts: Er rückt Selbstverständlichkeiten in den Blickpunkt und zeigt, dass diese so selbstverständlich gar nicht sind. Gleichzeitig gibt das Buch einen profunden und dennoch sich nicht verzettelnden Überblick über die letzten fünfzig Jahre bundesdeutscher Geschichte.

In dieser Hinsicht ist der vorliegende Band sicherlich nichts Neues und in dieser Form schon da gewesen. Er wird gleichwohl zu einer besonders gut lesbaren und vor allem beim weniger versierten Publikum Interesse weckenden Lektüre. Ralf Dahrendorf sei auch in dieser Hinsicht zugestimmt, wenn er sagt, dass Zeitgenossen dieses Buch "mit nachdenklichem Vergnügen lesen [werden], und Jüngere werden Anknüpfpunkte für ihre eigenen Zukunftsgedanken finden". Und Letzteres ist gerade in einer Zeit, in der das Wissen selbst um die unmittelbare deutsche Vergangenheit in weiten Teilen der Bevölkerung der Auffrischung bedarf, eine unbedingte Tugend.

Titelbild

Ansgar Fürst: Die Bonner Republik.
Rombach Verlag, Freiburg 2001.
260 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3793092402

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