Da kommt einer und plaudert

Beat Brechbühl skizziert, erzählt, suggeriert und dichtet, bis wir unsere Welt wieder sehen und hören

Von Johanna BackesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johanna Backes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da kommt einer und plaudert von der Schweiz und von seiner Reise nach Norwegen, vom Leben, vom Fernsehen und von der menschlichen Beziehung zur Natur, wie er sie sieht. Wir hören ihm zu, und hören, und dann begreifen wir nach und nach, dass da einer mehr sagt, als sein Plauderton andeutet.

Beat Brechbühls neuer Lyrikband "vom absägen der berge" ist mehr als plaudernde Lyrik: einfach in der Wortwahl, manchmal anschaulich und farbenfroh, manchmal grau-nüchtern skizzierend. Intim und persönlich ist dieses Buch, nah kommt man der Welt, nah kommt man sich selbst.

Wenn Brechbühl im ersten der sechs Kapitel seines Buches unter dem Titel "abhaun & dableiben" von seiner Reise nach Tromsö spricht, beschwört er die unberührte Welt, die frei von der Zivilisation und ihren Sünden dort noch spürbar ist. Seine Aufgabe "Deutsch nach Tromsö bringen" löst sich am Ende dieser Reise in dem Wunsch auf, "um[zu]kehren / ins Land wo sich Meer und Berge / umarmen und Himmel und Erde".

Gegen die westliche Welt, die jedem das Heil der Marktwirtschaft preist, rechnet der Helvetier die Güter auf, die uns Kulturen aus den anderen Himmelsrichtungen offenbaren. Er fordert: "Kolumbus hau ab" und hält fest: "wir alle sind Kolumbus. / Unsere Neugier nach Macht ist ungebrochen". Mano, der "Wanderer am Himmel", findet im Westen nicht "die Phantasie, die plötzliche / Idee", "die Kraft, die hastige Lust" oder "Mathematik". Nein, die findet er im Norden, im Osten und im Süden. Doch eins ist sicher, der Tod ist in allen Himmelsrichtungen gegenwärtig.

Im dritten Kapitel, in seinen "Arien vom atemlosen Leben", besingt Brechbühl sein Menschenbild. Keinesfalls sieht er den Menschen als aufgeklärte Krone der Schöpfung. Der Mensch scheint ihm weniger bestimmt durch seinen Geist und Verstand als durch seine Instinkte und Gefühle, denn die "Ideen und Resultate" "rennen" aus dem "Rückenmark & ein bisschen aus dem Herz" - und nicht wie allgemein angenommen aus dem Gehirn. Der Mensch als instinktgesteuertes Tier handelt unkontrolliert und "niemand weiß wie [...] aber alle bremsen die Pumpe nicht".

Aber auch zur Technik hat Brechbühl eine enge Bindung. Im Gedicht "Hin & her" sowie in seinem "Psalm für den Schlaf und gegen die Träume" im vierten Kapitel verknüpft er Begriffe aus der technischen Umwelt mit denen der natürlichen Innenwelt. Einmal nutzt er das schon in den Sprachgebrauch eingebürgerte Bild der "Pumpe", später die Metapher des "zentralen Kraftwerks" für das Herz.

Am nächsten kommt der Leser Brechbühl in den beiden letzten Kapiteln. Hier stellt er Bilder, Vorbilder, Eindrücke und Einflüsse vor. Hier dankt er einer Welt für die Inspiration, die sie bietet in Gegenwart und Vergangenheit. Hier dichtet er "für und mit" anderen. Die anderen sind: Paul Cezanne, Giambattista Bodoni, Hans Christian Jenssen und andere.

Das letzte Kapitel ist ein Resumé des bis dahin Aufgezeichneten. Hier besinnt er sich auf das "Wesen" aller Dinge. Für den Schweizer bedeutet das "den kern fragen und zuhören". Er tut es und erfährt: "Das Wesen des Fernsehens" ist "FROMM & DUMM", "Das Wesen von Heute" ist das kultivierte Spießertum; das "Wesen der verlorenen Kriege" ist, dass "der Krieg [...] nicht verloren" hat und "Das Wesen der Rockmusik" ist paradox. Grandios beschreibt er das "Wesen der Lyrik" als "alles. // & das Salz dazu".

Gerade in diesem Gedicht zeigt sich Brechbühls Stilkunst. Seine Lyrik muss mit Augen und Ohren wahrgenommen werden. Seine Worte wollen klingen. Ihr unaufdringlich einfacher und trotzdem eindringlich ausdrucksstarker Ton fängt den Zuhörer ein. Die besondere graphische Gestaltung der Gedichte mit Sinn stiftenden Zeilenumbrüchen und dem Wechsel von Schrifttypen kann nur beim Lesen und Anschauen wahrgenommen und in ihrer Bedeutung verstanden werden.

In den meisten Gedichten spricht der Autor von Dingen, die wir kennen. Aber wir scheinen sie neu und besser zu erfassen, wenn wir ihm zuhören. Denn Brechbühl wird hier als Künstler offenbar, der zu lieben vermag. Eine Liebe ist die Lyrik, das "Gedicht an dem [er] immer leb[t], / und manchmal schreib[t]." Wer sich auf seinen Plauderton einlässt, wird auch lieben lernen. Er wird vor allem Brechbühls Gedichte lieben lernen, die Augen und Ohren wieder öffnen. Das mag das Geheimnis der Liebe sein: Sich öffnen und einlassen auf die Welt, die uns umgibt, die Menschen, auf das Schöne, das Hässliche und das Skurrile.

Ein erster Schritt dorthin ist, sich auf diesen Lyrikband einlassen und am Ende mit Brechbühl "Nachhause gehen, auf Wanderschaft bleiben".

Titelbild

Beat Brechbühl: Vom Absägen der Berge. Gedichte.
Nagel & Kimche Verlag, Zürich 2001.
101 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3312002842

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