Sprache die ans Herz greift

Bettina Ullmann über Kunst und Kultur bei Fritz Mauthner

Von Waldemar FrommRSS-Newsfeed neuer Artikel von Waldemar Fromm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das literaturwissenschaftliche Interesse an Mauthners Werk richtet sich vor allem auf die "Beiträge zu einer Kritik der Sprache". Beinahe zeitgleich mit Hofmannsthal artikuliert Mauthner in den Beiträgen ein sprachkritisches Bewusstsein, das als Epoche machend charakterisiert worden ist. Das Kunst- oder gar das Kulturverständnis Mauthners stand bisher nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit, gehört also zu den Desideraten der Forschung. Die Arbeit von Bettina Ullmann zu "Fritz Mauthners Kunst- und Kulturverständnis" versucht in diese Lücke vorzudringen. Im Verlauf der Lektüre wird man angesichts der Breite des Titels enttäuscht, denn der Autorin geht es im Wesentlichen nur um Mauthners Literaturverständnis. Bereits der Titel der Arbeit wirft also unbeantwortete Fragen auf: Wenn Kultur, warum dann nicht auch Literatur, oder: wenn Kunst, warum dann der übergeordnete Bereich der Kultur. Auf zwei ungleichen Beinen lässt es sich genauso schlecht stehen wie auf einem. Die Autorin begründet ihre Wahl des Gegenstandes nur indirekt durch einen Hinweis auf das Wortkunstkapitel in den "Beiträgen", womit unter den Begriff "Kunst" neben der Kunst zumindest noch die Literatur subsumiert wird.

Die Arbeit ist sozialgeschichtlich angelegt, erweitert durch begriffs- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze. Die Einwände gegen die Sozialgeschichte der Literatur sollen hier nicht wiederholt werden, obwohl sie auf die Arbeit Ullmanns angewandt werden können. Die Erweiterung des sozialgeschichtlichen Ansatzes liegt in der Betonung eines innovativen Zuganges zum Werk Mauthners, insofern die sprachkritische Position des Autors als mentalitätsgeschichtlich rekonstruierbarer Ausdruck von Mauthners Lebenszeit verstanden wird - begriffsgeschichtlich will daran die Analyse der Kunst- und Kulturverständnisses Mauthners und dessen Einordnung in die Geschichte dieser Begriffe sein. Dieser methodische Ansatz (und Anspruch) wird - unabhängig von seiner Plausibilität - in der Arbeit insgesamt nicht überzeugend eingelöst.

Die Autorin untersucht zunächst anhand von Mauthner exemplarisch das Krisenbewusstsein eines Intellektuellen in einer Umbruchszeit. Doch reicht das Kapitel über eine biographische Skizze nicht hinaus. Was über das Biographische hinaus Mentalitätsgeschichte sein soll, bleibt unklar. Das zweite Kapitel zu Deutschland nach der Reichsgründung 1871 zeigt einzelne historische Aspekte der Lebenszeit Mauthners auf (Nationalismus und Antisemitismus, Berlin als Pressehochburg, Zeitungen- und Zeitschriftenwesen, Theaterleben), gewinnt aber gegenüber den referierten Arbeiten von Historikern und Literaturwissenschaftlern kein eigenständiges Profil. Zwei daran anschließende Kapitel beschäftigen sich mit der Kulturkrise und dem Gesamtwerk Mauthners, das Thema des Titels erreicht die Arbeit also erst nach mühevollen Umwegen, die für die "Kunst- und Kulturvorstellungen" angesichts des Standes der bisherigen Forschung kaum gewinnbringend eingesetzt werden.

Bei der Darstellung der Kunst- und Kulturvorstellungen im engeren Sinne ist der Leser zunächst damit konfrontiert, den begriffsgeschichtlichen Ansatz auf die Einträge Mauthners in seinem "Wörterbuch der Philosophie" reduziert zu finden. Bereits der Untertitel, "Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache" stellt das Wörterbuch aber in einen größeren Zusammenhang, der bei Ullmann kaum deutlich wird. Im Mittelpunkt, so hebt die Autorin in der Einleitung hervor, steht das Wortkunstkapitel aus den "Beiträgen". Mauthner kommt in diesem Kapitel auf Malerei, Musik und Literatur zu sprechen und entwickelt eine sinnesphysiologische Ästhetik im Anschluss an Ernst Machs Empfindungskonzept (auch an eine Konkurrenz zu Lessings Laokoon auf sinnlicher Grundlage wäre zu denken). Statt aber die Künste gegeneinander zu profilieren, bespricht Ullmann Literaturkritiken und Essays über Autoren, die Mauthners Ansichten zur Literatur wiederspiegeln können.

Ullmanns Arbeit enthält problematische Formulierungen, die wenig erhellen, dafür viel verundeutlichen: Da wird Hermann Bahr, der Verfasser der "Überwindung des Naturalismus" zum Naturalisten erklärt, Wertungsfragen vor den inhaltlichen Analysen mitgeteilt. Ein Beispiel aus der Einleitung: "Mauthner entwickelte eigene Kunstvorstellungen, die auf der Idee basieren, dass jede Gegenwart ihre eigene Kunst formen solle, die mit ihrer Weltanschauung übereinstimme. Grundlage einer zeitgemäßen 'Wortkunst' sei eine Sprache, die die Erfahrungen der jeweiligen Gegenwart angemessen ausdrücken könne." Entgegen der Behauptung, Mauthner habe "eigene" Kunstvorstellungen entwickelt, verdeutlichen die Sätze eher das Gegenteil: mit dieser unspezifischen Formulierung kann man auch die Ansichten fast jedes Feuilletonisten der Zeit beschreiben. Hinzu kommt im Anschluss eine ungenaue Einführung der "Beiträge zur Kritik der Sprache". Denn, dass ans Herz uns nur greift, "wer unsere Sprache spricht", wie Ullmann Mauthner paraphrasiert, wird in den "Beiträgen" so nicht dargestellt.

Titelbild

Bettina Ullmann: Fritz Mauthners Kunst- und Kulturvorstellungen.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
226 Seiten, 35,30 EUR.
ISBN-10: 3631357931

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