Ich fürchte die Liebe, weil ich das Weib fürchte

Über Leopold von Sacher-Masochs Novelle "Die Liebe des Plato"

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In eine Geschichte der deutschsprachigen Literatur verirrt sich der Name des Ritters Leopold von Sacher-Masoch bis heute nur ausnahmsweise, und selbst wenn, wird er nicht selten als Schilderer einer "pathologisch ausschweifendenden Sexualität" (Dietmar Goltschnigg) abgefertigt. Wenn er Glück hat, wird Sacher-Masochs "Darstellung komplexer Seelenlagen" als anregend für die "Ausbildung einer realistischen Erzählliteratur in Österreich" (Anton Reininger) gewertet. Noch immer gilt, wie Holger Rudloff kürzlich konstatierte, dass das umfangreiche Werk auch von der Forschung "weitgehend totgeschwiegen" wird.

Um 1900 war der 1836 in Lemberg (Galizien) geborene Schriftsteller jedoch berühmt - oder sollte man sagen: berüchtigt? Im wilhelminischen Reich galt der Verfasser von weit über hundert Romanen, Novellen, Aufsätzen und Dramen als suspekt, denn er war Philosemit (und schrieb - obwohl selbst kein Jude - kenntnisreich und mit Sympathie über das "ostjüdische Leben" in der Heimat seiner Kindheit), wurde vor allem im verhassten Frankreich hoch geschätzt und interessierte sich - literarisch - häufig für sogenannte Perverse. Dass er zunehmend und ausschließlich mit der von Krafft-Ebing in seiner "Psychopathia sexualis" nach ihm "Masochismus" genannten sexuellen Neigung zum Genuss von Schmerz und Demütigung identifiziert wurde, mag zu seiner Verbitterung, seinem literarischen Verstummen und frühen Tod beigetragen haben. 1895 starb er im hessischen Lindheim (heute zu Altenstadt/Wetterau) oder verlor nach einer apokryphen Überlieferung wenigstens seinen Verstand und verdämmerte noch zehn Jahre in einem Mannheimer Irrenhaus.

Die nun von Michael Gratzke neu herausgegebene Erzählung "Die Liebe des Plato" eröffnete 1870 den zweiten Band des ersten Teils einer auf sechs Teile angelegten Novellensammlung ("Das Vermächtniß Kains"), die von "Liebe", "Eigenthum", "Staat", "Krieg", "Arbeit" und "Tod" handeln sollte. Sie erzählt von keinem Masochisten wie die darauf folgende und ungleich bekannter gewordene "Veuns im Pelz", sondern von einem anderen "Sonderling" der Liebe:

Der 20jährige Offizier Henryk von Tarnow nennt sich selbst einen Idealisten, weil er die Welt der Körper verachtet und danach trachtet, "das Geistige in uns zu stärken". Deshalb ist er auch ein "Weiberfeind". Frauen nämlich sind in seinen Augen "rein sinnliche Wesen" und unfähig zu der "geistigen Liebe", nach der er sich sehnt. Männer hält Henryk für "geistig höher entwickelte Wesen", Frauen allenfalls für einen "Zeitvertreib". Allerdings interessiert sich Henryk nicht für diesen Zeitvertreib, sondern mehr für "treffliche Bücher" und "genußreiche Gespräche" über Philosophie, Kunst und Geschichte, weshalb ihn seine Kameraden einen "neuen Plato" nennen.

Eines Tages aber begegnet er der 22jährigen Nadeschda Gräfin Baragreff aus Moskau, die verführerisch schön, klug, weltgewandt und geheimnisvoll ist. Sie erscheint ihm "bis in die Fingerspitzen durchgeistigt", weshalb sie ihn gleichermaßen anzieht und abstößt. "Ich glaube, ich könnte Sie lieben", bekennt er ihr, "wenn Sie nicht ein Weib wären". "Nun da kann geholfen werden", antwortet die Gräfin, "ich erwarte in Kurzem einen Bruder von mir, der mir sehr ähnlich sein soll, den können Sie platonisch lieben".

Die folgenden Briefe - die Novelle variiert das Modell von Goethes "Werther", Henryks "Lieblingsbuch" - handeln von dem etwa drei Monate währenden Liebesverhältnis zwischen Anatol - dem "Bruder" der Gräfin, der natürlich die verkleidete Gräfin selbst ist - und dem jungen Grafen von Tarnow. Sie leben eine tageslichtscheue und ganz geistige Liebe, "in der die Seelen ineinander tauchen und zu Einer Seele werden". Selbst als ihm klar wird, wer Anatol wirklich ist ("Am Ende habe ich damit begonnen, einen Mann zu lieben und werde damit enden, ein Weib anzubeten"), hält er an seiner Liebe fest, bis Anatol des "exaltirten, poetischen und geistigen Charakters" ihres Verkehrs müde, vorsichtig versucht, die Beziehung zu 'verkörpern'. Henryk stößt dies ab; doch muss er beschämt bekennen: "seitdem meine geistige Liebe zu Anatol im Verlöschen ist, finde ich ihn so schön, so - ja gerade herausgesagt - verführerisch". Die Rückverwandlung Anatols in Nadeschda, ihre Lippen auf denen Henryks, bedeuten zugleich den Bruch. Er ist enttäuscht: Sie habe ihm seine Ideale geraubt, wirft er ihr vor, "ich aber war glücklich in meinen Idealen, in der Einbildung, daß es ein Weib geben kann, das mich geistig lieben und ertragen kann, von mir nur geistig geliebt zu werden". Zuletzt zieht sich Henryk wieder auf seine alte Position zurück: "die Freundschaft des Mannes mit dem Manne, weil sie allein auf Gleichheit beruht und vollkommen geistig ist", sei "das edelste, das beste Gefühl, das uns am meisten Befriedigung bietet".

Ob man deswegen gleich davon sprechen kann, dass die Novelle davon erzähle, "wie ein Mann schwul wird, indem er keinen Sex hat" (so der Herausgeber), scheint mir zweifelhaft. Die Misogynie des ausgehenden 19. Jahrhunderts wirkt zwar häufig homoerotisch grundiert, doch sollte man die grundsätzliche Sexualfeindschaft nicht als schwule Latenz adeln. Sacher-Masochs Novelle zeichnet das Psychogramm eines Spät-Pubertierenden, der sich aus seinen verquasten Idealen nicht befreien kann. Anatol/Nadeschda befürchtet einmal, dass "ein Mensch, der zu viel im Geiste lebt, schließlich in entgegengesetzter Richtung ausarten muß".

Ein Satz, der zu denken gibt, wenn man sich die Konstellation des vom Herausgeber "ein entsexualisiertes schwules Idyll" genannten Schlusses ansieht. Henryk lebt "bei seinem Freunde Schuster" und beide "im Verkehr mit der Natur und in ihren Studien". Henryk, das ist der zwischen Ost und West geborene "Philosoph" aus Galizien, der sich am Ende gegen die Russin Nadeschda (leidenschaftlich liebend, mit und in dem Leben spielend, fröhlich und geheimnisvoll zugleich, aristokratisch und sinnlich, raffiniert und oberflächlich) und für den deutschen Offizier Schuster entscheidet, von dem es schon früher hieß, er habe Henryk gelehrt, "was echte Kameradschaft ist". Schuster "ist offenbar kein Aristokrat", sondern ernst, treu, unsinnlich, frauenfeindlich, schweigsam, tief, den Naturwissenschaften zugeneigt und überhaupt ein Freund, "wie es keinen besseren geben kann". Nüchterne, rationale, deutsche Männlichkeit hie; rauschhafte, gefühlvolle, slawische Weiblichkeit dort. Wehe, wenn der deutsche Geist "ausartet", wie Nadeschda gelegentlich fürchtet: Dann wird es "gothisch", "barbarisch".

Sacher-Masoch verteidigte - auch mit dieser Novelle - die "Poesie" gegen "die Gesinnungen". Zwei Mal wird das "Erlebniß" mit der schönen Russin, deren Name übersetzt "die Hoffnung" heißt, mit der Versuchung des heiligen Antonius verglichen: Doch Henryk erliegt ihr letztlich nicht, sondern bleibt seinen "Principien" treu. Das kann man nur ironisch verstehen. Der Erzähler glaubte nicht an den 'idyllischen' Schluss. Er "zähle erst zwanzig Jahre," schreibt Henryk einmal, aber sein Geist sei reif und sein Herz sei alt. "Nein alt ist nicht das Wort, aber todt". Nadeschda hat es nicht beleben können.

Titelbild

Leopold von Sacher-Masoch: Die Liebe des Plato. Mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Michael Gratzke.
Herausgegeben von Michael Gratzke.
MännerschwarmSkript Verlag, Hamburg 2001.
114 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3928983962

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