Biberblick

Bill Brysons Kolumne "Streiflichter aus Amerika" in Buchform

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bill Bryson sieht aus wie ein Biber: kleine, verschmitzte Augen, ein brauner Strubbelbart, gemütliches Schmerbäuchlein. Sind Biber neugierig? Bryson ist es, er zeigt eine unverfälschte Freude am Staunen, an der Absurdität des Gewöhnlichen und am Aberwitz des Alltäglichen. Der amerikanische Reiseschriftsteller tourt normalerweise durch fremde Lande, doch in "Streiflichter aus Amerika" nimmt er zur Abwechslung sein Heimatland unter die Lupe. Hinter seiner kindlichen Neugier und inszenierten Einfalt kommt auch hier eine erfrischende Schläue zum Vorschein, die der 51-Jährige schon in seinen zahlreichen anderen Reisebüchern, z. B. über Großbritannien, wo er von 1977 bis 1997 lebte, auf die Menschen und ihre sozialen Rituale angewendet hat. Nur: Wissenschaftlicher Ernst ist nicht Brysons Sache; vom Schenkelklopfer-Witz, über Slapstick bis zum feinen Sarkasmus reicht die Bandbreite der hier versammelten humorigen Kabinettstückchen.

Nach 20 Jahren Abwesenheit zurück in New Hampshire, in einem echten amerikanischen Haus mit Veranda und automatischem Müllschlucker, stechen Bryson die Eigenheiten seines Geburtslandes immer aufs Neue ins Auge - und meistens hat er daran allerhand auszusetzen. Er meckert mit Verve gegen die Ausmerzung der amerikanischen Kultur, wenn er von abgerissenen Baseballstadien oder einer neuen Motel-Kette hört. Er mosert unaufhörlich über die Kundenunfreundlichkeit von Flughafenbetreibern, Telefongesellschaften und Computer-Hotlines, was manchmal geradezu tragikomische Ausmaße annimmt. Das amerikanische Fernsehen und seine grotesken Werbespots, die Einwanderungsbehörde, das Postwesen - fast jedem Aspekt des öffentlichen Lebens weiß Bryson seine verdrehte Logik abzulauschen und dahinter die kulturgeschichtliche Brisanz humorvoll bloßzulegen.

"Neulich bin ich mit meinem Jüngsten bei Toys ? us gewesen. Er war zu etwas Kohle gekommen und wollte sie dort ausgeben. [...] Doch zunächst mal: Ist Toys ? us nicht der rätselhafteste Name, den Sie je gehört haben? Was bedeutet ,Spielsachen sind wir'? Ich hab's nie verstanden. Wollen die Leute dort damit sagen, daß sie Spielzeug sind? Und warum schreibt man das R verkehrt herum? Etwa in der hoffnungsfrohen Erwartung, wir fänden den Laden um so toller? Und vor allem, warum gibt es in jedem Toys ? us siebenunddreißig Kassen, und immer ist nur eine besetzt?" Brysons oft flapsigen Tonfall kann die deutsche Übersetzung nicht immer überzeugend widergeben, doch bleibt der Eindruck erhalten, den die Texte ursprünglich wecken sollten. Sie erschienen von 1996 bis 1998 als Kolumne in der englischen Zeitung "Mail on Sunday" und sollten die britischen Leser augenzwinkernd durch die Tücken und Eigentümlichkeiten des amerikanischen Alltags führen.

Und um seine Leser auf der anderen Seite des Atlantiks nicht völlig zu verprellen, mault Bryson auch nicht unentwegt, sondern leistet sich ab und zu einen Ausflug ins Sentimentale und in die Nostalgie. "Mir widerfuhr ständig die unerwartete Freude, den Dingen wiederzubegegnen, mit denen ich aufgewachsen war, die ich aber großteils vergessen hatte: Baseball im Radio, das zutiefst befriedigende Boing-bäng einer zuschlagenden Fliegengittertür im Sommer, lebensgefährliche Gewitterstürme, richtig hohen Schnee, Thanksgiving und der Vierte Juli, Glühwürmchen, Klimaanlagen an unerträglich heißen Tagen, Jell-o-jelly [...], der angenehm komische Anblick, sich selbst in Shorts zu sehen." Doch diese Zahmheit hält nicht lange an, im nächsten Text richtet Bryson seine Biber-Augen gutgelaunt aber unbestechlich auf die Verschwendungssucht, Gedanken- und Humorlosigkeit seiner Nachbarn, amüsiert sich über dümmliche amerikanische Reiseführer für Großbritannien, verzweifelt am Schalter einer Autovermietung, weint über das beschämende Allgemeinwissen amerikanischer Schüler und so weiter. Allerdings: Wer hier seine Vorurteile über die USA bestätigen will, ist gut beraten, genau zu lesen. Denn mit der berechtigten Kritik weiß Bryson noch eine globale Weisheit zu transportieren: Wir sind alle nur Menschen, und gerade deshalb manchmal zum Brüllen komisch.

Titelbild

Bill Bryson: Streiflichter aus Amerika. Die USA für Anfänger und Fortgeschrittene.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sigrid Ruschmeier.
Goldmann Verlag, München 2000.
352 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3442308666

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch