Es kommt nichts mehr dazu, was ich nicht schon erfahren habe
Cornelia Steffahns Dissertation über das Spätwerk von Max Frisch
Von Ingeborg Gleichauf
Cornelia Steffahn untersucht in ihrer Dissertation, wie sich die Auseinandersetzung Max Frischs mit den Themen Altern, Sterben und Tod im Spätwerk gegenüber den früheren Schriften verändert hat. Das bietet sich deshalb an, weil Frisch im Grunde nie einfach Geschichten erzählt, sondern themenbezogen schreibt, in jedem seiner Werke bestimmte Fragen stellt, die er erzählerisch zu beantworten versucht.
Das eigentliche Spätwerk setzt Steffahn mit dem "Tagebüchern 1966-1971" an, "weil von diesem Zeitpunkt an Altern und Vergänglichkeit die Skizzen und Erzählfragmente prägen". Frisch behandelt das Altern sowohl als privates Problem als auch im gesellschaftlichen Kontext. Seine Methode ist fiktional, auch wenn seine Beschäftigung mit Klassikern wie Kierkegaard, Epikur oder Montaigne in die Werke eingegangen ist. Und so wird die explizite Frage nach Altern, Sterben und Tod versteckt in den Bildern von Zukunftlosigkeit, Erinnerungslast, Erstarrung und Tod im Leben. Darstellen lässt sich der Tod nur durch Grenzerfahrungen.
Die gesellschaftliche Komponente, die bei Frisch eine wesentliche Rolle spielt, ist die Isolation des Alternden und das Fehlen des Blicks auf Zukünftiges. Der alte Mensch wird geradezu gezwungen, sich abzukapseln.
Alle angesprochenen Themen unterliegen auch im Spätwerk einer Veränderung. Wir können bei Max Frisch dem Prozess einer Beschäftigung mit diesen Fragen folgen. Der Schweizer Autor zeigt sich auch hier als jemand, der das Werdende liebt - und nicht die definitive Schlussfolgerung.
Cornelia Steffahn ist es geglückt, dem Leser einen auch mit den existenziellen Grundfragen seiner Spätzeit sehr lebendig umgehenden Frisch zu zeigen. Die Dissertation schreckt zudem nicht durch eine fachterminologische Überfrachtung ab, sondern spricht durchaus auch Nicht-Germanisten an. Der mittlerweile fast zu überinterpretierte und gymnasial ausgeschlachtete "Sternchenthema-Autor" erscheint wie neu geboren und fordert ein erneutes Lesen heraus.