Å and Ø

Pia Juul schreibt englische Gedichte auf Dänisch

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Großbritannien werden in den Zyklen von Generationen junge Lyriker in einer gemeinsamen Offensive von Zeitschriften, Buchverlagen, Literaturhäusern und Lyrik-Lesungen kanonisiert. Zuletzt wurden 1994 (davor Ende der Sechziger) aus allen jungen Dichtern und Dichterinnen die vorgeblich 20 besten ausgewählt und in einer konzertierten Aktion als New Generation Poets vermarktet. Eine solche Aufmerksamkeit erreichte Lyrik in Europa eigentlich nur noch im Dänemark der achtziger Jahre (zuvor Anfang der Sechziger). Der Auftritt vieler junger Lyriker wurde von einem gebündelten Medieninteresse begleitet. Die 1962 geborene Pia Juul profitierte von dem allgemeinen Lyrikboom - und passt dennoch nicht so recht ins Bild. Die Generation vor der jüngeren Generation - Inger Christensen, Ivan Malinowski, Jørgen Sonne und mit Abstrichen Pia Tafdrup - rückten immer wieder die Leiblichkeit eines lyrischen Subjekts in den Mittelpunkt ihres Schreibens. Licht, Natur, Zeit wurden auf den Körper des Sprechenden fokusiert.

In den Achtzigern wurde aus dem empfindenden Ich sozusagen im Umkehrschluss eine Projektion äußerer Verhältnisse. Damit gelang es der neueren dänischen Lyrik, dem Verdacht der Innerlichkeit und Selbstbeschauung zu entkommen. Gleichzeitig wahrte sie den hohen Ton einer empfindsamen Selbstwahrnehmung des sprechenden Subjekts. Anders Pia Juul. Von den gleichen Wurzeln ausgehend, wird bei ihr die Erkenntnisprojektion, die jenseits des eigenen Ichs beginnt, nicht zum Ich-bezogenen Skeptizismus, sondern zur Kritik des Außenwelt. "Sie hängt an ihres Mannes Lippe/ Eine Frau aus Haut und Knochen/ Im Dämmerlicht/ nimmt sie ihn auf den Rücken".

Pia Juul spricht in ihrem Band "Augen überall" mit vielen Stimmen. Meist leiht sie einem weiblichen Subjekt ihre Rede. Ihr poetologischer Ansatz hat damit den skandinavischen Grund fast verlassen. Eher erinnert er an britische Lyrikerinnen wie Carol Ann Duffy, deren Sprechhaltung des inneren Monologs Juul nutzt, um unterschwellig psychische Dispositionen zu thematisieren. Wie bei Selima Hill spielen Geschlechtskonflikte eine nicht zu überlesende Rolle und wie bei Kathleen Jamie ist die Auseinandersetzung mit allem, was eine Kultur als "typisch" erscheinen läßt, in Juuls Gedichten zu finden. "Weißt du noch/ wir erwachten in einer Blutlache/ und wir nannten es/ schön". Juul spricht in drastischen Bildern. "Wenn du mich totschlägst/ mach`s richtig". Liebe und Tod werden in die Subtexte Kindheit, Identitätssuche, traumatische Erfahrungen aufgelöst. Viele Gedichte nehmen den Vorgang ihres eigenen Sprechens in ihre Aussage mit auf, so dass man - mitunter als Teil der geschilderten Szenen - die Poetologie von einer Stimme erklärt bekommt, die selbst durch ihre eigene Erklärung erst entsteht. "Hast du bemerkt/ wie viele Menschen/ in zwei Richtungen/ zu sehen versuchen". In zwei Richtungen spricht auch die Stimme dieser Gedichte. Und in zwei Richtungen muss man sie lesen. Mal scheint es, als ob ein kleines Mädchen reden würde, im nächsten Moment kommt eine Zote, die man nur einem Vollmatrosen zutraut. Diese Pluralität verhindert den Abschluss des Identischen. Es formt sich kein Körper. Diese Gedichte sind offen - wie die Erkenntnis und ihre Kritik.

Titelbild

Pia Juul: Augen überall. Gedichte.
Übersetzt aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2001.
112 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3421054517

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch