Von apokalyptischer Rede

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Es ist ja doch möglich, in Deutschland eine Dissertation von weniger als 200 Seiten einzureichen! Doch bevor Jürgen Brokoff "Die Apokalypse in der Weimarer Republik" abhandelt, skizziert er am Urtext - der Johannes-Offenbarung - die Apokalypse als Redeform.

Deren herausragendes Merkmal ist die Unterscheidung zwischen Immanenz und Transzendenz. Johannes beobachtet die Vernichtung der immanenten Welt durch den transzendenten Willen Gottes. Diejenigen, die sich von der bösen Weltlichkeit ab-, und der transzendenten Wahrheit Gottes zugewandt haben, gehen ein in das Neue Jerusalem, in dem nach dem Ende der immanenten Welt dieser Gegensatz aber aufgehoben ist. Die Unterscheidung gehört zu einer Wahrheit, die außerhalb des Textes liegt. Dazu kommt die schwierig zu bestimmende Sprechsituation des Erzählers: Johannes wird in die transzendente Wahrheit eingeweiht und gibt diese weiter; seine Rolle in Bezug auf die Wahrheit bleibt aber undeutlich: offenbart er, oder wird ihm offenbart? Seinen Wahrheitsanspruch untermauert er durch den Verweis auf die nicht kritisierbare Gewalt Gottes, der als Vollstrecker des Immanenten auftritt. Tue Buße und geselle Dich zur Schar der Gläubigen, denn das Ende kommt bald! Auf diskursiver Ebene kann der Erzähler seinen Wahrheitsanspruch jedoch nicht untermauern, denn der letzte Beweis, die Vernichtung der immanenten, irdischen Welt steht ja noch aus und kann nicht in Sprache dargestellt werden. Das Ende des Gegensatzes "Immanenz-Transzendenz" bringt das Ende von Sprache überhaupt, wie auch der apokalyptischen Sprechsituation mit sich, die in eben jenem Gegensatz ihre notwendige Voraussetzung hat. Die apokalyptische Rede muss Postulat bleiben.

Es wird überzeugend dargelegt, dass diese Sprechsituation nicht, nach Derrida, ein Merkmal von Sprache im Allgemeinen sein kann, sondern exklusiv das der apokalyptischen Rede. Denn zu ihr gehört in jedem Fall die Spannung zwischen der Unmöglichkeit, das Behauptete sprachlich zu verifizieren und der notwendigen Entscheidung des Menschen zwischen Immanenz und Transzendez, feurigem Pfuhl und Neuem Jerusalem.

Brokoffs Verdienst ist, sein Muster an den Texten einer Epoche erprobt zu haben, die so apokalyptisch wirkt wie keine zweite: die der Weimarer Republik. Und er ist geschickt fündig geworden: Aus den Texten Carl Schmitts, Walter Benjamins, Ernst Jüngers und - nicht eben verwunderlich - Adolf Hitlers destilliert er das verbindende Strukturelement in verschiedenen Variationen. An die Stelle der göttlichen Transzendenz tritt dabei das Politische, ohne allerdings den transzendenten Charakter aufzugeben! Damit geht der Anspruch auf universelle Geltung, auf eine transzendente Wahrheit, die keine andere Wahrheit neben sich dulden kann, einher. Brokoffs Arbeit illustriert sehr eindrucksvoll diesen absoluten Charakter politischer Auseinandersetzungen der Zeit, sowie deren rhetorische Überhöhung. Sie wendet sich zurecht nicht nur an das philologische Fachpersonal, sondern an "alle, die an der Epoche der Weimarer Republik interessiert sind."

N. M.

Titelbild

Jürgen Brokoff: Die Apokalypse in der Weimarer Republik.
Wilhelm Fink Verlag, München 2001.
188 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3770536037

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