Ich fühle mich eigentlich glücklich

Max Frischs Briefwechsel mit der Mutter 1933

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1933 macht der 21-jährige Max Frisch eine Reise, die ihn von Zürich nach Prag, Budapest, Dubrovnik, Sarajewo, Konstantinopel und Athen führt. Er reist vor allem im Auftrag der Neuen Züricher Zeitung, für die er Sportberichte und Reisefeuilletons schreibt. Frischs Vater ist im März 1932 gestorben und hat der Familie einen Schuldenberg hinterlassen. Mutter und Sohn rücken zusammen und versichern einander immer wieder ihre Zuneigung. Die Mutter geht für ihr "Mäxelein" zur Zeitung, um das Honorar einzufordern und "Mägi" schreibt ihr dafür zärtliche Briefe, in denen er wiederholt seine große Sparsamkeit und den nie erlahmenden Arbeitswillen betont. So sind diese Briefe ein Zeugnis für die beiderseitige Bemühung, keinen Konflikt aufkommen zu lassen und Missverständnisse im Keim zu ersticken. Lina Frisch bestärkt ihren Max darin, die Reise in vollen Zügen zu genießen, auch wenn sie natürlich Angst um ihn hat. Sie hält ihre Sorgen zurück, bemerkt nur an wenigen Stellen, dass es ihr nicht so gut gehe, sie sich müde und niedergeschlagen fühle. Max geht äußerst sensibel mit seiner Mutter um. Er beteuert, dass er all das nur für sie tue, und dass er seinen Lebenssinn aus dieser Aufgabe ziehe.

Gleichzeitig weiß der angehende Schriftsteller sehr genau, dass eben nicht nur die Mutter der Motor für die Freude am Schauen und anschließenden schriftlichen Ordnen des Gesehenens ist. Der Grundantrieb kommt aus seinem eigenen Inneren: "Diese reise wird mich vorwärtsbringen und wird vielleicht das grunderlebnis meiner jugend sein und bleiben, von dem ich in erinnerung zu zehren habe." Max Frisch bleibt in allen Briefen bei der konsequenten Kleinschreibung.

Der Briefwechsel lebt von der innigen Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Die Reisefeuilletons geben den Selbstreflexionen Max Frischs genügend Raum. Hier beginnt sich ganz deutlich die Zukunft des Schriftstellers abzuzeichnen, sind Grundthemen bereits da. Frisch denkt nach über das Schreiben und die Flucht vor der schrecklichen Wirklichkeit, über die Möglichkeiten der Sprache und über die Masken des Ichs. Begegnungen und Abschiede sind da und die männliche Selbstinszenierung des Dichters nimmt seinen Anfang: "Liebe ist im Leben eines Mannes nur ein Teil. Und der andere Teil wäre wohl unser Dichten und Trachten, Verdienen und Verzweifeln."

Die Briefe und frühen schriftstellerischen Versuche zeigen einen Frisch, der auf dem Weg ist, der beginnt zu sondieren, was ihm wichtig sein könnte und was nicht. Der Schriftsteller Frisch hat von Anfang an eine Biographie, die sich nicht verrätselt und versteckt, sondern nach vielen Seiten offen ist.

Titelbild

Max Frisch: Im übrigen bin ich immer völlig allein.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
320 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 351841156X

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