Gelackte Tristezza

Josef Zehentbauers "Melancholie. Die traurige Leichtigkeit des Seins"

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Den kulturhistorisch variablen Personifizierungen der "Melancholia" - mal alte Frau mit zerzaustem Haar, mal geschlechtsneutraler Engel mit finsterem Blick, mal der seine Kinder verschlingende Gott Saturn, mal grübelnde junge Frau mit Insignien des Todes etc. - lässt sich mit diesem Traktat eine weitere hinzufügen: zwischen den Bildstilen von Prä-Raffaelismus, Jugendstil-Werbeplakaten und Esoterik-Pop-Kultur angesiedelt, versucht der Autor eine Figur der Melancholie zu inszenieren, die einen Makellosigkeit anstrebenden Seelenhaushalt und die billig glänzenden Farben der irrealsten Utopie zur Schau trägt.

Alle Konfliktdispositionen, die in der Kulturgeschichte seit der Antike mit der Melancholie verbunden sind, lösen sich in einer einsinnigen Gedankenführung auf, in der Melancholie zum "spirituellen Instinkt" erhoben wird, der "geistigen Hunger erzeugt und Lust gebiert auf Kontemplation und tiefe Gedanken". Denn: "Die Melancholie ist ein göttliches Geschenk."

Wären da nicht Angst, Depressionen, der Tod. Ihnen widmet der Autor - "Arzt, Psychotherapeut und Hochschuldozent [...], Autor erfolgreicher Bücher" - diverse Kapitel, in denen sie von der leichten Stimmung der Melancholie getrennt werden. Die zerstörerische Depression lagert "am anderen Pol der Melancholie" als deren deutliches Zuviel, allerdings nicht als manifeste Krankheit, sondern als "Grenzerfahrung zwischen Leben und Tod." Die gelte es zu akzeptieren wie die Ängste und auch den Tod selbst, um sich in der Melancholie wohlig angenehm zu fühlen.

Dass Depressionen aber wiederholt zur Volkskrankheit Nr. 1 erklärt werden, also eine grosse Zahl von Menschen an diesem schmerzlichen Pol anlangt und nach Hilfe sucht, hat dem Autor zufolge vor allem mit den Interessen der Pharmaindustrie zu tun. Dennoch kann er das Faktum an sich nicht bestreiten und stellt diverse Behandlungsmethoden vor. Er warnt vor den Möglichkeiten der Abhängigkeit bei Pharmaka, aber auch im Falle der Psychotherapie und plädiert für Selbsthilfe, allerdings mit merkwürdigen Argumenten: So gehöre Vegetarismus zu diesem Programm, da dieser eher konform gehe mit der "grundsätzlich friedlichen Melancholie" - und überhaupt: "Wer Fleisch isst, der nimmt auch die Todesangst der Tiere mit auf, was jeder halbwegs sensible Mensch in sich spüren kann". Entscheidend sei bei allen selbstheilenden Methoden, "dass der melancholisch gestimmte Mensch sich so akzeptiert, wie er ist" und das Untertauchen in Depressionen auf diese Weise vermieden wird.

Auf diesem Niveau von TV-Werbesprache und Trivialpsychologie werden auch im Kapitel über Angst deren pathologischen Komponenten beschrieben; wer zuviel Angst verspüre, müsse entscheiden, "ob sie/er bereit ist, sich von der holden Signora Angst bei der Hand nehmen zu lassen, um einen Weg zu gehen, der unbekannt ist, aber auch erstaunlich leicht sein kann". Noch blumiger muss es bei diesem Verständnis der Überschreitungen von Melancholie im Kapitel über den Tod zugehen. Natürlich heisst die Alternative zur Angst vor dem endgültigen Absterben göttlicher Rhythmus des Universums, in dem es immer wieder ein Aufwachen gibt, möglicherweise gar in einer besseren Welt. Da sind wir aber doch sehr beruhigt, erfahren aber kein wirklich erklärendes oder gar über den Entwurf einer jenseits alles Bösen angesiedelten Melancholie hinaus weiterhelfendes Wort über deren Zusammenhang mit Depressionen, Angst und Todesgedanken.

Was den Band vollends ungenießbar macht, ist der krampfhafte Versuch, Melancholie in einer vor Kitsch und Pseudo-Tiefe triefenden Sprache zur Air-Brush-Personifizierung eines alternativen Lebensentwurfs zu stilisieren. Danach stellt der Melancholiker die Gegenfigur zum "herrschenden Konsumismus" dar, muss dies aber im Alltag oft unterdrücken und übt daher nur im Stillen seine/ihre kleine Revolte aus: "Melancholie ist - per se - eine wunderbare Charaktereigenschaft, voll von In-die-Tiefe-Gehen, sensibel sein, stiller Leidenschaft und Kreativität." Wer möchte da nicht dazugehören? Glücklicherweise hat ja jeder etwas Melancholie in sich und muss sie bei Gelegenheit nur rauslassen, um mit dem grossen Ganzen in Verbindung zu treten und die böse Welt und die "Normalen" auszublenden.

Von keinem kritischen Zweifel angekränkelt muss auch die jüngere Geschichte dem Autor als Materiallager für sein pastellfarbenes Luftgespinst herhalten. Dabei entpuppt er sich als alter '68er: "Flower Power war gefeierte Romantik und gelebte Melancholie" ist das Ergebnis seiner Beschäftigung mit der Vergangenheit. Ohne die ganze Geschichte zu erzählen (wozu ja dann mindestens die Erwähnung der Manson-Family oder der RAF erforderlich wäre) oder gar dialektisch interpretieren zu wollen, wird der romantische Impuls dieser Bewegung soweit ausgedünnt, bis er zu dem sanft hypnotisierenden Gesäusel des Textes beitragen kann. Aberwitzige Analogieschlüsse, Übernahmen aus der Literaturgeschichte, schlecht erfundene Dialoge, Umdeutung oberflächlicher Beobachtungen von Reisen nach Indien und Italien in verquaste "spirituelle" Einsichten - neudeutsch könnte man formulieren: Je diffuser die Argumentation, desto Melancholie.

In welchem Zustand befinden sich Leser, die sich vorgaukeln lassen, "dass einige Neurotransmitter-Aktivitäten von Himmelsgestirnen beeinflusst oder gelenkt werden" (zum Beispiel vom Mond, von der Sonne oder vom Saturn) oder denen zum Problem der Panikattacken beschieden wird, "Phobie muss nicht Krankheit, sondern kann Lebensphilosophie sein"? In diesem geschlossenen System von willkürlichen Behauptungen und Glaubenswahrheiten zählt die Kulturgeschichte der Melancholie nur wenig, bezeichnenderweise wird auch Klibansky/Panofsky/Saxls grosse Studie "Saturn und Melancholie" nicht zitiert. Es geht bei dem durchaus ansprechend gestalteten Band um die Bestätigung der Leser als potentielle Melancholiker und damit als Gutmenschen in einer verdorbenen Zeit. Man kann sicher sein, dass diese sich um keinen Deut von den penetrant als "Normale" angesprochenen Nicht-Melancholikern unterscheiden.

Titelbild

Josef Zehentbauer: Melancholie. Die traurige Leichtigkeit des Seins.
Kreuz Verlag, Stuttgart 2001.
192 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3783119111

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch