Ein bewegliches Heer von Gemeinplätzen

Michael Thalken traktiert die Sprachkritik mit Gänsefüßchen

Von Hans von SeggernRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans von Seggern

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einer aus den Medien bekannten These zufolge stünde das New Yorker World Trade Center heute noch, wenn unsere arabischen Hobby-Piloten sich nicht darauf hätten verlassen können, dass die Bilder ihres Anschlags binnen Sekunden in den letzten Winkel der Welt verbreitet werden würden. Mit der Genese der Massenkommunikation, der Entstehung unserer Medienkultur, entwickelt sich auch deren Kritik, die mit einer Kritik der Sprache dieser Medien einhergeht: "Im Anfang war die Presse, und dann erschien die Welt", schrieb Karl Kraus Anfang des letzten Jahrhunderts. Anders (und mit Günter Anders) formuliert: "Im Anfang war die Sendung, für sie geschieht die Welt."

Im Schnittfeld von Sprach- und Medienkritik bewegt sich auch Michael Thalkens Dissertation über "sprachkritisches Sprechen bei Friedrich Nietzsche, Gustav Gerber, Fritz Mauthner und Karl Kraus". Dass Sprache immer nur durch Sprache selber kritisiert wird, benennt Thalken als grundlegendes Problem jeder Sprachkritik: Erkenntnisgegenstand und Erkenntnismedium koinzidieren im sprachkritischen Denken. Es geht ihm weder um eine bloß immanente Rekonstruktion verschiedener Positionen noch lediglich um einen Vergleich derselben: "Nicht die Frage, was die Sprachkritik um die Jahrhundertwende von Sprache sagt und behauptet", ist der Fokus dieser Arbeit, vielmehr vermeint sie - gewissermaßen meta-kritisch -, die Texte der Sprachkritiker gegen den Strich zu lesen mit der Vorgabe, "wie sich die als erkannt geglaubten Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die Zulänglichkeiten und Unzulänglichkeiten der Sprache vermittelt finden."

Als die Leistung von Thalkens Arbeit kann es dabei angesehen werden, den zeitgenössischen medienkritischen Diskurs aus einer Vielzahl von Quellen zu rekonstruieren und die Positionen der Sprachtheorie und Sprachkritik hierin einzubetten. "Die historische Situation der Autoren ist von zentraler Bedeutung, jedoch wird 'Geschichte' hier nicht als Ereignis-, sondern primär als Sprachgeschichte verstanden, genauer: als die sprachbestimmte Kontextualität des Individuums, die sich als eine durch das publizistische, politische, wissenschaftliche und technische Sprechen ausgelöste Veränderung des historischen Sprachgebrauchs erweist, zu dem das Individuum seine eigene mehr oder weniger reflektierte Beziehung entwickelt." Der Reichstagsabgeordnete Albert Hänel etwa stellt um 1890 die Presse in eine Reihe mit Post, Eisenbahn und Telegraphie, da sie nichts seien als "Transportanstalten" - Medien eben.

Das alles ist nützlich und hilfreich zu lesen. Leider aber vermag der Autor von seinem Sprachverständnis aus, Sprachkritik nur in Anführungszeichen zu lesen. Thalken zufolge nämlich haben insbesondere Nietzsche und Mauthner ihre sprachkritischen Positionen nur aufgrund einer folgenreichen Verwechslung gewonnen. Sie verwechselten die Sprache der Medien mit dem "Wesen der Sprache" selbst. Es versteht sich von diesem Punkt an von selbst, dass Thalken das "Wesen der Sprache" kennt und von daher nicht nur die "Vernutzung" der Sprache durch die Medien geißeln kann, sondern die "fehlerhafte" Sprachkritik durch Autoren wie Nietzsche und Mauthner gleich dazu.

Er stützt sich hierbei auf eine These Helmut Arntzens, nach der die Sprachkritiker der Jahrhundertwende eben das spezifisch "journalistische Sprechen" vor Augen gehabt hätten, wenn sie von der Sprache als solcher sprachen. So liest Thalken etwa Nietzsches Traktat "Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" vor dem Licht seiner Invektiven gegen den Journalisten als "papiernen Sclaven des Tages" oder den "Schleim der Zeitungssprache". Das ist schon insofern bedenklich, als Nietzsche auch mit seiner frühen Sprachkritik ja gerade nicht die Presse ins Auge fasst, sondern ausdrücklich die Begriffssprache der Philosophie.

"Im Laufe der Untersuchung weist Thalken zutreffend darauf hin, dass Kritik an Sprache immer wieder versucht, deren Begriffe zu hintergehen. Der Rekurs auf die Metapher kennzeichnet die sprachkritischen Versuche der untersuchten Autoren. Allerdings ist Nietzsches Metapher vom beweglichen Metaphern-Heer seit langem selbst zu einem Gemeinplatz des Sprechens über Sprache geworden. Nietzsches These von der Sprache als eines selbstbezüglichen "Heer von Metaphern" ist Thalken besonders lästig, und doch erweist er sich immer wieder selber als äußerst kühner Metaphernschöpfer. So habe "sich an Mauthner die Donquichotterie einer Sprachkritik" gezeigt, "die ihren Kampf gegen Windmühlenflügel aufnahm, in der Hoffnung, den Wind selbst zu besiegen." "In seinem Bemühen, die Sprossen der Sprachleiter zu zerschlagen, indem er sie betrat, stürzte Mauthner immer wieder ab und landete auf jenem Boden, auf dem diese ,Leiter' ruhte, nämlich auf dem Boden der Literatur als dem des metaphorischen Sprechens schlechthin."

Thalken zufolge ist nur in der Literatur die Sprache "bei sich", entzieht sich nur in der Literatur ihrer medialen "Vernetzung". Nur indem Sprache zum "Medium" geworden sei - zum "Werkzeug der Kommunikation" und "evolutionsgeschichtlich optimierten Apparat zur zweckorientierten Anpassung an die Umwelt" -, sei sie ihrem "Bei-sich-sein", ihrem "Wesen" entfremdet worden. Aufgabe der Germanistik sei es, ein "positionsloses Denken" einzuüben, dass auf eine Wirklichkeit jenseits medialer Phrasen und bedeutungsloser Bilder zu verweise vermöge. Thalken bleibt mit solchen Reflexionen weit hinter der von Nietzsche - unter starkem Einfluss des von Thalken so bewunderten Gustav Gerber - formulierten Kritik an einer metaphysischen Sprachauffassung zurück.

Es ist zu bedauern, dass Thalken der Herausforderung einer Konfrontation seines selbstgenügsamen Sprachidealismus mit aktuellen medientheoretischen Positionen sich entzieht. Zudem wird seine Position konterkariert durch die Tatsache, dass der Autor selber als Lokalreporter für eine Tageszeitung tätig gewesen ist und sich somit selber der "Besudelung" der Sprache mit den "Stereotypen medial vernutzten Sprechens" schuldig gemacht hat.

Titelbild

Michael Thalken: Ein bewegliches Heer von Metaphern. Sprachkritisches Sprechen bei Friedrich Nietzsche, Gustav Gerber, Fritz Mauthner und Karl Kraus.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
393 Seiten, 50,10 EUR.
ISBN-10: 3631344155

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