Wie frei ist der Mensch?

Ewig aktuelle Fragen in historischem Gewand

Von Steffi SchwabbauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Steffi Schwabbauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich bin ein Mörder - jemand, der zahllose Menschen auf dem Gewissen hat. Irgendwann habe ich den Versuch unternommen, ihre genaue Zahl zu bestimmen. Aber es ist mir nicht gelungen. Während des Krieges sind mehr als tausendmal tausend Soldaten gefallen. Zahllose Zivilisten kamen ums Leben. Zahllose Menschen wurden in physischer oder psychischer Hinsicht zugrunde gerichtet, verstümmelt oder gequält. Zahllose Menschen habe ich während des Krieges verschleppen oder verkaufen lassen. Zahllose Menschen haben verloren, was ihnen wichtig war. Ich habe Länder verwüstet und Städte zerstört ..."

Der Mann, der heute so von sich spricht, ist Hannibal, der für die Geschichtsschreibung bedeutendste Feldherr seiner Zeit. Der Krieg, den er führte, war der Zweite Punische Krieg, den er trotz zahlreicher Siege am Ende verlor. Hannibal ist in der Gestalt des deutschen Archäologen Arne Magnusson in Nordafrika mit dem Zug auf dem Weg nach Hadrymes. Hier holt ihn seine glorreiche und zugleich schreckliche Vergangenheit ein. Die Verbrechen, die er im Namen seines Volkes beging, belasten ihn. Dabei klaffen große Lücken in seiner Erinnerung. Schließlich ist es über zweitausend Jahre her, dass er sich das Leben nahm, um den römischen Verfolgern ein letztes Mal zu entkommen. Doch der Verantwortung für seine Taten kann er sich nicht entziehen. Magnusson wird verhaftet und sitzt schließlich samt der punischen Götter zu Gericht.

Nicht irgendein, sondern das letzte Gericht. Es ist Hannibals letzte Chance, der Hölle zu entgehen. In diesem Tribunal ohne Geschworene gehören alle die er jemals irgendwie geschädigt hat zu den Klägern, und Hannibal selbst ist der wichtigste Zeuge. Die Götter werden über ihn richten. Es geht nicht um Strafe im Sinne von Buße, denn er ist ja schon tot. Es geht um das Bewusstwerden der Sünde. Alle Parteien, ob Kläger, Angeklagter oder Richter, stehen dabei auf gleicher Stufe.

Klemens Peterhoff verschränkt mit seinem ersten Roman "Hannibal - Der Ring des Strategen" nicht nur Gegenwart und Vergangenheit, sondern auch alte Geschichte und Gerichtssaaldramatik. Er entwirft eine komplexe historisch orientierte Biographie des faszinierenden Feldherrn, der als Stratege gefürchtet war und wie kein Anderer eine ernsthafte Gefahr für die Weltvormachtstellung des Römischen Reiches darstellte. Nun gibt es schon genügend Literatur über das Wirken des Hannibal, das zwangsläufig jeden in seinen Bann zieht, nicht nur wegen des berühmten Feldzugs mit Elefanten über die Alpen. Ein Roman braucht also mehr als nur die Aneinanderreihung von historischen Fakten. Das gelingt Peterhoff durch die Schuldfrage. Hannibal muss sich als Angeklagter fragen lassen, ob er den Tod tausender Unschuldiger, den er durch seine strategischen Entscheidungen verursacht hat, mit seinem Gewissen und heutigen Wissen der Geschichte vereinbaren kann. Doch das bereitet ihm größte Probleme, denn "die Verbrechen, die ich im Laufe meines Lebens begangen habe, belasten mich sehr. Man würde mich heute als Kriegsverbrecher bezeichnen."

Die Schuld Hannibals dient Peterhoff als Plattform für eine zentrale Frage des Menschseins: Wie frei ist ein Mensch, der zwischen Macht und Verantwortung, Pflichtgefühl und persönlichem Willen gefangen ist? Eine einmal getroffene Entscheidung verkleinert den Handlungsspielraum der nächsten, weil sie auf der ersten aufbaut. Es kommt zu einer Kette ungewollter Folgen. Jedes weitere Handeln kann also kaum noch autonom entschieden werden. Der Weg zurück ist verbaut. Angetrieben von der inneren Kraft und der Überzeugung, das Richtige zu tun, kämpft Hannibal für Karthago.

Peterhoff zeigt, wie aus dem unschuldigen Kind, das praktisch im Heer aufwächst und schon als junger Mann in die Fußstapfen seines Vaters tritt, ein brutaler Mörder wird. Es findet sich alles, was ein 700-Seiten-Roman braucht, um bis zum Ende spannend zu sein: Liebe, Lust und Leidenschaft genauso wie Hass, Intrigen, Kampf und ein spannendes Tribunal. Während der Leser sich durch Rückblenden in die Vergangenheit leicht in das punische Reich und das Leben Hannibals entführen lässt und ihn dabei sogar als sympathischen Menschen kennen lernt, schafft das Verhör vor Gericht immer wieder Distanz. Am Ende müssen sich auch die Götter selbst fragen, welchen Anteil sie an den Geschehnissen tragen. Sind sie nicht die Mächte, denen Hannibal gehorchte? Freisprechen können sie ihn allerdings nicht. Er muss schließlich über sich selbst richten.

Titelbild

Klemens Peterhoff: Hannibal. Der Ring des Strategen. Roman.
Wieser Verlag, Klagenfurt 2001.
760 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-10: 385129341X

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