Nähe und Ferne

Stewart O´Nan erzählt vom Krieg

Von Monika PapenfußRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Papenfuß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die zahlreichen Kriege, in die die USA im Verlauf ihrer Geschichte verwickelt waren, wurden selten im eigenen Land geführt. Sie berührten den Alltag in Amerika kaum. So scheint das Leben auch im Sommer 1943 in geregelten Bahnen zu verlaufen, obwohl man sich im Krieg gegen Japan befindet. Wie direkt der scheinbar so ferne Krieg in das Leben eingreift, ist in "Sommer der Züge deutlich spürbar. O´Nan führt den Leser in die amerikanische Provinz, genauer in eine amerikanische Familie, eine Familie, wie sie unauffälliger nicht sein könnte.

Vater Langer ist Geschichtslehrer, Mutter Anne Krankenschwester, sie haben zwei Söhne, den erwachsenen Rennie und den zwölfjährigen Ray. Die Atmosphäre in der mittelgroßen Stadt ist geprägt von Angst um die zum Kriegsdienst eingezogenen Söhne, aber auch von der vorherrschenden Überzeugung, daß jede gute amerikanische Familie ihr persönliches Opfer in diesem Krieg zu bringen habe. Als Rennie, der ältere der beiden Langer-Söhne, zunächst den Kriegsdienst verweigert und in ein Straflager muß, werden die Langers zu Außenseitern in ihrem kleinbürgerlichen Umfeld. Rennie bringt Schande über seine Familie. James Langer ist maßlos enttäuscht über die Entscheidung seines Sohnes, die Kluft zwischen Vater und Sohn vergrößert sich. Auch Rennies junge, schwangere Frau Dorothy hat unter den Anfeindungen der patriotischen Nachbarschaft und der eigenen Familie zu leiden. Sie zieht, als Rennie sich schließlich doch zum Sanitätsdienst meldet und nach Alaska einschifft, ein anonymes Leben in San Diego vor. Auch James Langer, seine Frau Anne und Ray verlassen das heimatliche Galesburg und machen sich auf nach Long Island, wo James´ Vater allein ein altes Haus am Meer bewohnt.

Schnell wird deutlich: es ist nicht der Krieg allein, ja nicht einmal der Krieg in erster Linie, der auf den Langers lastet. Bereits vor dem Krieg war die Harmonie in der Familie zerstört. Anne und James haben die Nähe zueinander verloren, Ray leidet unter der Sprach- und Lieblosigkeit, die zwischen seinen Eltern herrscht. In der Abgeschiedenheit der neuen Umgebung verdichtet sich die gespannte Familienatmosphäre. Auch hier ist der Krieg präsent, alle warten auf eine positive Nachricht von Rennie, doch jeder ist mit seinen Ängsten und Gedanken allein. Die beklemmende Atmosphäre im Wohnzimmer, wo man sich allabendlich versammelt, um die neuesten Kriegsnachrichten aus dem Radio zu erfahren und die gemeinsame Sorge um Rennie führt nicht zur Annäherung zwischen Anne und James. Sie entfernt sie eher voneinander, läßt bei beiden das Gefühl wachsen, allein zu sein mit den eigenen Gefühlen und Ängsten. Der hilfsbedürftige Opa Langer ist in dieser Situation die äußere und innere Klammer, die gemeinsame Aufgabe, das Gerüst, das die Familie zusammenhält. So sind es letztlich die gemeinsamen Erfahrungen mit dem Tod als Grenzsituation, das Bemühen um einen würdigen Tod des alten Mannes, Mitgefühl und Respekt vor der Trauer des Partners, Dankbarkeit für die selbstverständliche in den letzten, die zu Gesten gegenseitigen Verständnisses führen.

Was fesselt den Leser an diesem einfachen Roman ohne erzählerische Raffinesse. Stewart O´Nan ist ein Meister der Beobachtung und des Details. Durch die Art, wie er jede Situation, jeden Gedanken ausleuchtet, entstehen neue Perspektiven. Die Menschen, die er vorstellt, sind allesamt durch den Alltag beschädigt. Sie wirken in ihrer Hilflosigkeit jedoch nicht lächerlich, sondern mitleiderregend. Die Erzählung durchzieht ein trauriger Grundton, Wehmut wohl darüber, daß schon das normale Leben so kompliziert zu sein scheint, daß es Menschen in Verzweiflung und Depression stürzt. Und besteht Hoffnung, daß im Alltag zugefügte Wunden verheilen können, wie das Ende andeutet. Die melancholische Grundstimmung, die den Roman durchzieht, löst sich teilweise auf, aber eben nur teilweise, denn der Krieg überlagert den Alltag, und ohne die Problematik des Alltäglichen zu bagatellisieren, wird unmißverständlich klar: der Krieg hat nichts Normales und Banales, der Tod, den er bringt, kann niemals human sein oder gar Versöhnung stiften.

Auch diese Erkenntnis gewinnt der Leser durch die Fähigkeit O´Nans, Bilder zu entwerfen und für sich sprechen zu lassen, wie z.B. das einer Veteranenfeier, an der Rennie trotz innerer Widerstände teilnimmt. Die Inszenierung dieses Heldenspektakels steht im Widerspruch zu den Bedürfnissen und Gefühlen des dort gegen seinen Willen in die Öffentlichkeit Gezerrten und Geehrten, sie dient tatsächlich nur den patriotischen Bedürfnissen der Zuschauer. Vor dem Ereignis leuchtet der Autor die Seele des zum Helden Stilisierten aus, der sich nicht als Held, sondern als Verlierer fühlt, der sich nur noch verkriechen möchte, der mit dem normalen Leben nicht zurechtkommt, unfähig ist, über das Grausige, das er erlebt hat, zu sprechen. Die Kluft zwischen denen, die den Krieg am Radio verfolgt haben, und den tatsächlich Dabeigewesenen könnte deutlicher nicht zum Ausdruck gebracht werden als durch den Kontrast zwischen der jubelnden Menge und den vom Krieg entstellten, innerlich leeren, vom Alkohol betäubten Rennie. Einer Kamera gleich, die jeden Winkel ausleuchtet, lenkt O´Nan den Blick des Lesers auf kleinste Details. Die Bilder, die auf diese Weise entstehen, bedürfen keiner Erklärung.

Titelbild

Stewart O´Nan: Sommer der Züge. Roman. Übersetzt von Thomas Gunkel.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999.
476 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3498050273

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