Ein Mystiker bilanziert eine Kontroverse und schlägt daraufhin Purzelbäume

Colin McGinn befindet sich im "toten theoretischen Winkel von epischen Dimensionen"

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weder der Materialismus noch der Dualismus sind in unseren Zeiten in der Lage, eine befriedigende Lösung für das sogenannte Geist-Körper-Problem auszuklügeln. Das erstgenannte Konzept vermeidet zwar durch die Annahme eines strikten Kausalismus einen Argumentationssprung. Es kann mit ihr aber nicht plausibel aufgezeigt werden, wie sich materielle Eigenschaften zu etwas Geistigem kombinieren lassen, auch wenn dies die fundamentale Basis einer solchen Theorie sein müsste. Ferner ist die Annahme eines Dualismus zwar hilfreich, um das Nichträumliche des Bewusstseins zu beschreiben, man verliert aber dadurch den Boden, um überhaupt eine Beziehung zwischen Geist und Gehirn aufzeigen zu können, weil dies letztlich geleugnet werden müsste. Colin McGinn findet in seinem Buch "Wie kommt der Geist in die Materie?" die Ursache für dieses "Fehlen eines konzeptuellen Rahmens" in dem Mangel an Beweisen, die eine der beiden Theorien begünstigen würde. So legt er dar: "Wir stehen vor einem Problem, das auf ein mächtiges Loch in unseren konzeptuellen Ressourcen hindeutet, einem toten theoretischen Winkel von epischen Dimensionen. Und darum spreche ich bei diesem Problem von einem Mysterium." Diese Grundthese findet sich u.a. schon in McGinns Buch "Problems in Philosophy" (1996 bei Klett-Cotta erschienen auf Deutsch als "Die Grenzen vernünftigen Fragens").

Colin McGinn hat das "Rätsel des Bewusstseins", wie es im Untertitel zu seinem Buch heißt, auch nicht gelöst. Konnte er auch nicht, denn sein "mysterischer" Lehrsatz lautet, dass das Bewusstsein "auf einer natürlichen Eigenschaft des Gehirns basiert, die sich unserem Erkenntnisvermögen entzieht". Das Trickreiche daran ist, dass der Autor aus einem bloßen Mangel an Erkenntnisvermögen ein Argument entwickeln kann: Das Geist-Körper-Problem sei auf ähnliche Weise nicht lösbar, wie man auch nicht wissen könne, wie viele Dinosaurier genau einst unsere Welt bevölkerten. Des weiteren legt er da, dass das Bewusstsein durchaus auf irgendeine Weise materialistisch erklärt werden könnte, da "Bewusstsein sich auf bislang unidentifizierten Eigenschaften von Materie" gründe. Allein zufällige evolutionäre Strukturen seien die Ursache dafür, dass das menschliche Hirn sich selbst als 'Geist in Materie' nicht zu begreifen imstande sei. Das Gehirn sei nun einmal grundsätzlich nicht für Philosophie und Wissenschaft 'konzipiert' worden, denn die primären Interessen des Menschen (waren und) sind das Fressen und die Fortpflanzung. Dessen ungeachtet hält McGinn es für möglich, ein menschliches Wesen in Zukunft so genetisch verändern zu können, dass es imstande sein könnte, den immer noch klaffenden Spalt zwischen Bewusstsein und Materie "mit links" zu verstehen. Aber der Autor mahnt auch an, dass dieses veränderte Wesen die Gesellschaft nicht unbedingt zu einer besseren Welt führen könnte. Die Schattenseiten seien noch gar nicht abzusehen. Mehr plädiert er dafür, das Unwissen zu akzeptieren: "Wir sollten die Demut, ja schlicht die Vernunft besitzen, uns dazu zu bekennen, dass manche Dinge existieren können, ohne dass wir im Stande sein werden, sie zu ergründen." Für den Autor ist also das Bewusstsein nicht mehr und nicht weniger als ein natürlicher, obgleich unerklärlicher Vorgang im Gehirn.

Den größten Teil des Buches widmet McGinn der kritischen Darstellung von bestehenden Bewusstseinstheorien, die er in ihren Vorzügen und Mängeln leicht verständlich vorführt. Aber für den spekulativen Geist, der McGinn nun einmal ist, bleibt dies letztlich unbefriedigend. Also nimmt er Anlauf und schlägt ein paar "Purzelbäume". Darunter versteht McGinn das Aufstellen eigener Theorien, die im Fortlauf des Buches mehr und mehr an Plausibilität fehlen lassen, dafür aber vom außergewöhnlichen Einfallsreichtum des Autors zeugen: Das Bewusstsein als eine Art fünfte Dimension zu verstehen, die wir zwar irgendwie empfinden, aber nicht erkenntnistheoretisch fassen können, sei dahingestellt. Diese Dimension als irgendwie räumlich zu begreifen, erfordert schon mehr guten Willen. Das Bewusstsein dann aber als "Fossil" aus Zeiten vor dem Urknall zu deuten, in dem Raum noch nicht räumlich aussah, wie der Geist heute nicht räumlich erscheint, mag ein kleiner Schritt für McGinn gewesen sein. Für Geistes- und Naturwissenschaften gleichermaßen ist es wohl eher ein großer Schritt auf dem Weg in die unendlichen Weiten der Phantasie.

Titelbild

Colin McGinn: Wie kommt der Geist in die Materie? Das Rätsel des Bewusstseins.
Übersetzt aus dem Englischen von Susanne Kuhlmann-Krieg.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
270 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3406472176

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