Entdeckung einer Künstlerin

Erzählungen von Patricia Highsmith

Von Monika PapenfußRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Papenfuß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die verschiedenen Phasen der schriftstellerischen Entwicklung von Patricia Highsmith sind deutschen Lesern weitestgehend unbekannt, und als Privatperson weiß man erst recht nur sehr wenig von ihr. Schon früh fing sie an zu schreiben, bereits als junge Studentin veröffentlichte sie Kurzgeschichten in der Hochschulzeitung und füllte unzählige Seiten mit Notizen und Tagebucheinträgen. An ihren frühen Erzählungen hatte zu Lebzeiten der Autorin keine ernst zu nehmende Literaturzeitung wirkliches Interesse gezeigt. Die literarische Qualität ihrer Romane wurde lange verkannt. In Deutschland wurden sie zunächst als billige Taschenkrimis verkauft, deren Titel die Verlage nach eigenem Gutdünken änderten und eigenmächtig Textkürzungen vornahmen.

Erst als in den 70er Jahren der Diogenes Verlag begann, die Autorin zu betreuen und ihre Bücher in gebundener Form herausbrachte, behandelte man ihre Texte mit mehr Sorgfalt. Der positive Effekt lies nicht lange auf sich warten: Patricia Highsmith wurde von der Literaturkritik entdeckt, ihre Romane wurden fortan zur anspruchsvollen Literatur gezählt.

Diese Entwicklung hatte jedoch eine negative Begleiterscheinung: In ihrer Vielschichtigkeit wollte man die Autorin eigentlich zeitlebens nicht wahrnehmen. Vielleicht war der Beginn ihrer Karriere, die Entdeckung ihres ersten veröffentlichten Romans "Zwei Fremde im Zug" von 1950 und unmittelbare Verfilmung durch Alfred Hitchcock so einschneidend, dass man in ihr zwangsläufig in erster Linie die gute Kriminalschriftstellerin sehen musste, was sie zweifelsohne auch war - aber eben nicht nur. Ihre Fähigkeit, psychische und gesellschaftliche Entwicklungen zu gestalten, kam bei der Gesamtbetrachtung der Autorin vielleicht immer ein wenig zu kurz. So ist es um so dankenswerter, dass der Diogenes Verlag die neu übersetzte, auf der Grundlage des literarischen Nachlasses erarbeitete Werkausgabe von Patricia Highsmith mit Erzählungen und drei Romanen aus ihrer ganz frühen Schaffenszeit beginnt.

Die im Zeitraum von 1938 bis 1949 erstandenen Stories und Romane sind bisher noch nicht veröffentlicht worden und scheinen die Autorin in einem neuen Licht zu zeigen: Sie beinhalten keine Kriminalfälle; sie sind im langläufigen Sinne noch nicht einmal spannend. Es sind eher psychologische Erzählungen, aber auch in diesem Genre beweist die Autorin ihr Können. Highsmith zeigt sich als genaue Beobachterin von Menschen, denen sie in einer Episode ihrer Lebens folgt. An diesen eher punktuellen Einstellungen macht sie meisterhaft gesellschaftliche Normen bzw. Normverstöße durch Überschreitung von nur unterschwellig vorhandenen Regelsystemen fest. Die kleinen Katastrophen des Alltags und das Scheitern von Lebensplänen, die daraus entstehen, schaffen eine ebenso dichte Erzählatmosphäre, wie sie der Leser aus ihren bereits berühmten und häufig besprochenen Werken kennt.

Titelbild

Patricia Highsmith: Die stille Mitte der Welt. Erzählungen 1938 - 1949.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Melanie Walz.
Diogenes Verlag, Zürich 2002.
389 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3257064292

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch