Flügelleichte Kleider

Xu Peis Vorliebe für Schuhe aller Art

Von Eva SattelmayerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Sattelmayer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mit kalten Füßen/ gehe ich/ auf die Suche/ nach neuen Schuhen".

Reiseschuhe, Spitzenschuhe, Samtschuhe, Straßenschuhe, Hemmschuhe, Frauenschuhe, Schlittschuhe, chinesische Schuhe, bestickte Seidenschuhe, drückende Schuhe und rote Tanzschuhe sind Thema des neu erschienen Gedichtbandes von der in Köln lebenden chinesischen Lyrikerin Xu Pei. Schuhe sind in Xu Peis Gedichten ein Ausdruck verschiedener Identitäten. Genau wie man sich andere Schuhe anziehen kann, kann man auch seine Identität ändern. Das Annehmen von verschiedenen Rollen kann wie ein Spiel gesehen werden: " Ich gehe über den Laufsteg/ und trage bei jedem Gang/ neue bestickte Seidenschuhe", oder auch als Möglichkeit zum Neuanfang: "Ich poliere ihre Schuhe/ und gehe mit ihnen/ auf eine Weltenbühne".

Xu Pei, die vor 13 Jahren nach Europa kam, spricht in ihren Gedichten vom Taoismus, von Propagandatänzen und Kampfliedern in der Kindheit, von einer weisen Großmutter, die nicht lesen und schreiben konnte, von einer Braut mit Lotosfüßen und der Sehnsucht zu reisen. "Lotosfüße" ist auch der Titel des Gedichtbandes und erinnert an die fremde Welt, aus der die Dichterin kommt, und in der es zur Zeit ihrer Großmutter üblich war, die Füße der Mädchen zu bandagieren. Der abendländische Nietzsche, der am Anfang des Buches zitiert wird, wusste schon:

"Das Gute ist leicht, alles Göttliche läuft auf zarten Füßen." Immer wieder findet man in den Gedichten die Zerissenheit zwischen der Heimat und dem moderenen Westen wieder. "Leichtbekleidet/ stelle ich mich vor einen Magier/ und bin bereit zersägt zu werden". Auch Sprache kann Heimat sein. Pei schreibt auf deutsch, chinesisch und in anderen Sprachen. "Meine Pagode aus Buchstaben/ entsteht in einem fremden Wörtersee".

Die Gedichte von Pei werden durch sechs farbige Radierungen von Georg Baselitz illustriert. In China sind seit Jahrtausenden Schrift- und Zeichenkunst vereint. Die schöne Edition des Gedichtbandes erzeugt Leselust.

Besonders eindringlich weiß Pei die Liebe und all ihre manchmal paradoxen Formen zu beschreiben. Da ist die Angst vor Nähe, "die Minen der Verteidigung", die man zum Schutz besitzt, und auf der anderen Seite die Furcht vor zuviel Distanz, "Die Entfernung zwischen dir und mir/ maß ich täglich/ mit eigenen Füßen", neben dem Bedürfnis zu teilen, "Kaum tratest du näher/ ging mein Tor von alleine auf". Es gibt die Angst vor Verletzungen, die "flügelleichten Kleider", die am Boden liegen und nicht zertreten werden dürfen, und den Schmerz nach Verletzungen: "Barfuß lief ich über deine Wiese/ und trat auf einen Igel". Pei schreibt auch über das Glück der Vereinigung, "Um frei/ in deinen Sommeraugen/ zu schwimmen/ sprang ich nackt hinein" und die Leere nach dem Verlassenwerden: "Im eisigen Windzug/ entfernte er sich/ und ließ mich wie nackte Bäume stehen". Auch hier taucht das Motiv der Schuhe wieder auf, und die Befreiung von den Schuhen wird zur Befreiung von einer früheren Lebenssituation und zu einem Neubeginn: "In drückenden Schuhen/ erreichte sie eine Bucht// Ein Seemann befreite ihre Füße/ sie half ihm gegen den Wind zu segeln".

Titelbild

Xu Pei: Lotosfüße. Gedichte.
Grupello Verlag, Düsseldorf 2001.
80 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3933749433

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