Der fremde Fontane

Ein Sammelband erschließt interkulturelle Perspektiven auf Fontanes Werk

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Noch ein Sammelband zu Fontane, ist man versucht zu seufzen. Ein Blick ins Vorwort zeigt, dass auch dieser Band seine Wurzeln im Fontanejahr 1998 hat, es handelt sich um die Beiträge zu einer Vortragsreihe an der Universität München. Die Aneignung des Fremden führt aber schnell dazu, darin das Eigene zu entdecken, in diesem Fall das eigene Interesse an einem plötzlich gar nicht mehr so vertrauten Fontane, das bei der Lektüre schnell geweckt und in erstaunlichem Maß auch befriedigt wird.

Anders gesagt: So gründlich und grundlegend hat sich bisher noch kein Band der Frage gewidmet, ob - wie es Norbert Mecklenburg in seinem Beitrag zur "Logik und Poetik der Präsentation von Fremden" formuliert - ein "mögliches 'interkulturelles' Potential als 'künstlerisches' wahrgenommen und kritisch abgewogen werden" kann. Es ist ein heterogenes Feld, das da als 'fremd' klassifiziert wird und ins Kreuzfeuer der Forscher-Blicke gerät: die ebenso 'aparten' wie 'kranken' Frauenfiguren (analysiert von Edda Ziegler, Hartmut Reinhardt, Gerhard Neumann), die Katholiken (Helmuth Nürnberger), die Juden (Fotis Jannidis und Gerhard Lauer, Walter Müller-Seidel), die Briten (Willie van Peer), die Bewohner von Kolonien (Rolf Parr), die Amerikaner (Konrad Feilchenfeldt), die Polen (Hubertus Fischer), die Italiener (Christian Grawe), oder Fremde allgemein, im Erzählwerk (Norbert Mecklenburg, Günter Häntzschel), in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" (Michael Ewert), im journalistischen Werk (Kurt Koszyk) oder im Buch über den Krieg mit Dänemark (Annegret Heitmann).

Einige der Beiträge beschäftigen sich weniger mit der Leitfrage und bieten dafür - man glaubt es kaum - neues Hintergrundwissen. Hiltrud Häntzschel hat in ihrem hochinteressanten Beitrag, der im Ansatz eine Rezeptionsgeschichte Fontanes enthält, die kontroverse, durch politische Entwicklungen beeinflusste Beurteilung des Preußen durch die Exilanten und das NS-Regime nachgezeichnet. Konrad Feilchenfeldt hat die wahre Geschichte Leutnant Greelys, dem Fontane nicht nur ein 'e' zufügte, geschrieben. Hubertus Fischer überrascht mit dem wahrscheinlichen Vorbild der Figur Dzialinski im Roman "Cécile", es stellt sich sogar heraus, dass es konkrete historische Übereinstimmungen gibt, von denen Fontane möglicherweise gar nichts gewusst hat.

Zurück zur Generallinie des Buchs. Mecklenburg kommt zu dem Fazit, dass sich "Fontanes psychographisch-kritische Erzählkunst als eine Kunst der Objektivierung, der Differenzierung und der Vielstimmigkeit" erweist. Gerhard Neumann spricht sogar von "beispielloser Komplexität", für ihn lassen sich Analogien zum Werk Hofmannsthals oder den Gedanken Nietzsches feststellen. Fotis Jannidis und Gerhard Lauer indes wollen die solchermaßen präzisierte und theoretisch weiterentwickelte, eingangs noch von Edda Ziegler mit dem älteren Terminus beschworene, sprichwörtliche Fontanesche "Ambivalenz" nicht so ohne Weiteres akzeptieren. Sie finden in ihrer Analyse der jüdischen Figuren im "Stechlin" einen "Widerspruch", der "zum grundlegenden Bauprinzip des Romans" gehöre, somit keine "Vielstimmigkeit", sondern "eine einzige, grundlegende Darstellungsweise" konstituiere. Grundsätzlich meinen dies Jannidis und Lauer positiv, den seit einigen Jahren verstärkt geäußerten Antisemitismusvorwurf lassen sie nicht gelten (besonders Müller-Seidel hält dagegen und findet scharfe Worte). Etwas isoliert wirkt da der Versuch Rainer Warnings kurz vor Schluss, die (auch in anderen neueren Publikationen attestierte) Gesprächskunst Fontanes zu relativieren, statt dessen von "Monologizität" zu sprechen.

Die gewählten Ansätze sind heterogen und hochinteressant, es zeigt sich deutlich, wie fruchtbar die Perspektive auf Strukturen von Alterität im Werk sein kann. Lässt man Warnings Warnung und einige wenige andere Unkenrufe bei einem Fazit außer Acht (ohne sie deshalb zu ignorieren!), dann bleibt unterm Strich das viel schärfer als bisher konturierte Bild eines unzeitgemäßen Preußen, eines in Konzeption und Poetik modernen Autors, für den Grenzen nur dazu da sind, in den polyphonen Diskursen seiner Briefe und Romane aufgelöst zu werden.

Titelbild

Konrad Ehlich (Hg.): Fontane und die Fremde, Fontane und Europa.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2000.
320 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-10: 3826018303

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