Das Neue versteckt

Quellen zur Literatur im "Dritten Reich"

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sebastian Graeb-Könnekers Sammlung von Dokumenten und Texten zur Literatur und Literaturpolitik im "Dritten Reich" muss sich gegen gewichtige Konkurrenz behaupten: Seit den 60er Jahren schon gehören Joseph Wulfs Quellenband zu Literatur und Dichtung im deutschen Faschismus und Ernst Loewys Dokumentation zur "Literatur unterm Hakenkreuz" zur bewährten Ausstattung eines jeden Wissenschaftlers, der zu diesem Thema arbeitet. Dennoch kann ein weiterer Band selbst mit dem beschränkten Raum von 400 Reclam-Seiten durchaus sinnvoll sein. Gerade in den letzten Jahren hat die Forschung zur Literatur im "Dritten Reich" bemerkenswerte Ergebnisse und Neubewertungen ergeben. Dies übersichtlich mit Quellen zu veranschaulichen wäre ein Verdienst, das sich Graeb-Könneker indessen nur bedingt erwirbt.

Unproblematisch ist dabei der Teil zur Literaturpolitik, der etwa das erste Drittel der Sammlung ausmacht. Ohne grundlegend Neues zu bringen, ist doch der Kenntnisstand, der etwa durch Jan Pieter Barbians Forschungen repräsentiert ist, übersichtlich dargestellt. Die "Neuordnung" von 1933 mit ihren Verboten und der Bücherverbrennung, ebenso aber mit dem Karrieresprung für völkische und anpassungsbereite Autoren wird so deutlich wie das Neben- und Gegeneinander verschiedener NS-Literaturinstitutionen, das für die nicht exilierten Schriftsteller jeglicher Orientierung Chance wie Gefahr gleichermaßen bedeutete. Zudem zeigt Graeb-Könneker die Verfolgungspraxis anhand der Schicksale von Autoren wie Alfred Mombert, Jochen Klepper oder Hermann Broch, aber auch heute vergessener kommunistischer Autoren aus dem BPRS, dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Den regimetreuen Autoren dagegen winkte reicher Lohn, wie die Abschnitte etwa zu Literaturpreisen und Dichterreisen belegen.

Zwei weitere Hauptteile jedoch, die den größeren Teil des Buches einnehmen, verursachen zunächst Ratlosigkeit. Die "literarischen Standortbestimmungen" sind wie die "literarischen Texte" allein nach Gattungen gegliedert. So erfährt man auf den ersten Blick nur, dass im "Dritten Reich" Prosa, Lyrik und Dramen geschrieben und über Prosa, Lyrik und Dramen reflektiert wurde. Weshalb nun welcher Text in welcher Abfolge hier gedruckt wurde, bleibt zuweilen rätselhaft. Manchmal scheinen sich Themenkomplexe herauszubilden, die drei oder vier Texte miteinander verbinden; vielfach gibt es unvermittelte Brüche, nirgends aber Erklärungen. Denkt man lange genug nach, erahnt man manchmal die Auswahlkriterien ( doch ist ein Dokumentenband keine Rateübung, sollte es jedenfalls nicht sein. Graeb-Könnekers Hauptproblem ist hier sein Ordnungsprinzip. Die exemplarisch personenorientierten oder thematischen Anordnungen Wulfs und Loewys verdeutlichen, was die sachfremd gattungsspezifische Gliederung verdeckt.

Hier klärt erst das Nachwort, in dem der Herausgeber pointiert eine Position bezieht, die der intensiven Diskussion bedarf. Konsequent historistisch rekonstruiert er die Haltungen von Autoren von 1933 an nicht vom heutigen Wissen aus, dass es zur Shoah, zu Krieg und zur Niederlage des deutschen Faschismus kam. Graeb-Könneker sucht die Faszination nachzuzeichnen, die das Regime in seinen Anfangsjahren durch scheinbare Erfolge zu wecken wusste. Diese Sichtweise kann in der Tat die Perspektive auf die Autoren, die immer noch meist durch moralische Urteile geprägt ist, schärfen. Aus diesem Grund jedoch überhaupt jedes Urteil, jede Parteinahme als "Unrecht" und Überforderung der damals Lebenden zu qualifizieren, unterschlägt Möglichkeiten, die es auch schon 1933 oder um 1936 in der Phase scheinbarer Befriedung des Terrors gab. Schließlich waren die Exilierten, anders als Graeb-Könneker es mit einer Äußerung Ernst Tollers darstellt, nicht nur "ein wüster Haufen aus zufällig Verstoßenen", sondern manche von ihnen ( und wenige der in Deutschland gebliebenen Schriftsteller ( hatten schon vor 1933 recht genaue Vorstellungen von dem, was folgen würde. Umgekehrt schlossen sich viele Autoren nicht deshalb dem Regime an, weil sie sich über dessen Charakter täuschten; als Nationalisten und zum Teil Antisemiten hießen sie die Ziele der neuen Regierung durchaus gut.

Die ideologischen Gegensätze zwischen verschiedenen Institutionen des Regimes, ihre taktischen Manöver, die nur lückenhafte Umsetzung von Direktiven in die Praxis zeichnet Graeb-Könneker ebenso einleuchtend nach wie die Produktions- und Rezeptionsbedingungen der Literatur des "Zwischenreichs". Diesen mehrschichtigen Begriff zieht der Verfasser wohlbegründet der herkömmlichen Bezeichnung "Innere Emigration" vor, da so das eigentümliche Changieren zwischen Anpassung an den herrschenden Betrieb und Abstand, zwischen systemkonformer Flucht in Naturalisierung einerseits, Opposition andererseits erfasst ist. Die moralische Frage nach dem (meist geringen) Grad an Widerstand weicht so einer Frage nach der Funktion von Texten in einer literaturpolitischen Ordnung, die meist eindeutig nicht zu beantworten ist.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Graeb-Könneker der Frage nach Aspekten von Moderne und Anti-Moderne in der Literatur des "Dritten Reichs". Dabei hebt er Erkenntnisse hervor, die noch keineswegs Allgemeingut sind, etwa dass durch Übersetzungen amerikanischer Autoren bis zur Kriegserklärung an die USA 1941 die literarische Moderne den Lesern durchaus zugänglich war. Das betrifft weiterhin dezidiert antimoderne Autoren, die das Ländlich-Bäuerliche als Fluchtraum vor einer entfremdeten Welt propagieren. Sie stehen schon vor 1933 der äußersten Rechten nahe und behalten danach diese Position bei; ihre Wünsche gehen indessen nicht in Erfüllung. Graeb-Könneker hebt hervor, dass einerseits auch viele der Zwischenreich-Autoren, die nach 1933 Abstand zum Regime nehmen, dieser Tradition angehören, dass andererseits die politische Praxis nach 1933 die Erwartungen enttäuschte: Ein Weltkrieg lässt sich nicht mit Egge und Pflug führen. Die Jahre nach 1933 sind durch einen "Reactionary Modernism" (Jeffrey Herf) gekennzeichnet, einer Modernisierung, deren gesellschaftlich-emanzipatorische Momente gekappt sind und die auf neue Technologien und umfassende Mobilisierung aller Bevölkerungsschichten reduziert ist. Von dieser Modernisierungsvariante lassen sich in der Tat Verbindungslinien ziehen zu der der Wirtschaftswunderjahre der BRD. Kontinuitäten einer solchen "Literatur des technokratischen Bewußtseins" (Thomas Lange) zur Literatur sogar beider deutscher Staaten nach 1945 deutet Graeb-Könneker leider nur an, ohne sie auszuführen.

Blickt man von dieser Erklärung auf die Quellensammlung zurück, so wird manches klarer und ihr Wert über das bislang Publizierte hinaus deutlich. Eine profaschistische Erzählung, in der Autobahnbau und traditionelle Forstwirtschaft versöhnt werden, gewinnt jetzt ebenso Sinn wie Überlegungen aus dem sonst eher antimodern agierenden Amt Rosenberg, man brauche jetzt zum Bauernroman auch den deutschen Großstadtroman. Dennoch: Die Erkenntnis wird gegen die Anordnung der Ausschnitte gewonnen. Im Falle einer Neuauflage wäre eine gründliche Umgruppierung der Dokumente nach thematischen Gesichtspunkten wünschenswert.

Titelbild

Sebastian Graeb-Könneker (Hg.): Literatur im Dritten Reich. Texte und Dokumente.
Reclam Verlag, Stuttgart 2001.
416 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3150181488

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