Ode an die Literatur und die Freundschaft

Helene Hanffs Hymne auf das gedruckte Wort "84 Charing Cross Road - Eine Freundschaft in Briefen"

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als die Schriftstellerin Helene Hanff im Oktober 1949 aus New York einen Brief an die antiquarische Buchhandlung Marks & Co. in London schreibt, kann sie nicht ahnen, dass damit eine zwanzigjährige, immer inniger werdende Brieffreundschaft beginnt. Die anfangs nüchterne Geschäftskorrespondenz entwickelt sich nach und nach zu einem persönlichen Austausch über Bücher und Gedanken und Persönliches sowie kulinarische Köstlichkeiten.

Helene Hanff ist eine Büchernärrin, die sich nicht mit "schmuddeligen Schulausgaben von Barnes & Noble" zufriedengeben will; sie weiß schön ausgestattete und gut erhaltene Bücher ebenso zu schätzen wie ihre Inhalte und findet in dem Antiquar Frank Doel, der sich um ihre Aufträge kümmert, einen Gleichgesinnten. Die Briefe, die mal mehr, mal weniger regelmäßig zwischen New York City und London hin und her gehen, sind auch geprägt von den persönlichen Umständen der Briefeschreiber - so träumt Helene Hanff in ihren Briefen immer wieder davon, "ihre" Buchhandlung in London einmal selbst betreten zu können, aber ihre materiellen Umstände lassen es nie zu. Frank Doel stirbt 1969 überraschend, ohne Helene Hanff zu Gesicht bekommen zu haben. Aus den Briefen spricht eine tiefe Zuneigung und persönliche Anteilnahme an dem Leben des jeweilig Anderen. Helene Hanff schreibt über eine Zahnbehandlung ebenso wie über ihre finanziellen Sorgen, Frank Doel schildert sein Familienleben in London. Die Briefe dokumentieren auch Zeitgeschichte - Doel berichtet von der Rationierung der Lebensmittel im Nachkriegsengland, kommentiert politische Ereignisse in Großbritannien ebenso wie die Thronbesteigung Elisabeths II und den Kauf seines ersten Autos. Geprägt ist die Korrespondenz nicht nur von einer tiefen Liebe zu einer ihrem Inhalt würdig präsentierten Literatur - also schön gebundenen Büchern -, sondern auch von Pragmatismus und Lebensmut angesichts schwieriger Lebensumstände nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Helene Hanff von der Lebensmittelrationierung in England erfährt, ist sie entsetzt - und schickt Carepakete nach London, deren Inhalt unter den Angestellten der Buchhandlung verteilt werden und die weitere Briefkontakte mit der Frau von Frank Doel und einigen seiner Mitarbeiter zur Folge haben. "84 Charing Cross Road" ist ein kleines, feines Buch, das nicht nur die Anziehungskraft, die Gestaltung und die Inhalte von Büchern feiert, sondern auch einer zwanzig Jahre währenden ungewöhnlichen Freundschaft ein Denkmal setzt. In Amerika erschien Helene Hanffs Briefwechsel mit Frank Doel bereits 1970 und trat einen unerwarteten Siegeszug durch die amerikanischen, englischen und seit 2001 auch französischen Bestseller-Listen an, den man sich auch in Deutschland wünscht.

Titelbild

Helene Hanff: 84, Charing Cross Road. Eine Freundschaft in Briefen.
Übersetzt aus dem Englischen von Rainer Moritz.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2002.
158 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3455026508

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