Nichts Halbes und nichts Ganzes

Peter Vitouch zur "Psychologie des Internet"

Von Katharina HarlfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Harlfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Interesse am "neuen" Medium Internet, obwohl mittlerweile gar nicht mehr so neu und aus unserem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken, ist ungebrochen. Fast jeder ist auf die eine oder andere Art schon einmal damit in Berührung gekommen. Die Hauptvorteile des Internet liegen unbestritten in der ständigen Verfügbarkeit von Informationen und der häufig als unkompliziert bezeichneten Kommunikationsmöglichkeiten wie E-Mail oder Chat. Kritiker dagegen befürchten weitreichende Veränderungen der Gesellschaft: Von sozialer Vereinsamung und Internetsucht ist da ebenso die Rede wie von Desorientierung aufgrund des nicht zu bewältigenden Informationsbergs ("Lost in Hyperspace").

Aussagen über das Internet auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen, ist erklärtermaßen das Ziel von Prof. Dr. Peter Vitouch, Dozent am Fachbereich Psychologie der Universität Wien. In "Psychologie des Internet" versammelt er "Gesellenstücke" - sprich: Diplomarbeiten - einiger seiner herausragenden Studenten und Studentinnen. Bis auf eine Arbeit folgen diese einem quantitativen Forschungsansatz und widmen sich zum großen Teil sozial- und persönlichkeitspsychologischen Aspekten des Webs. Dabei werden so unterschiedliche Themen behandelt wie die soziale Verträglichkeit des Internets, der Einfluss des E-Mail-Verhaltens auf die Persönlichkeitsstruktur, Beziehungsstrukturen in Chat-Rooms, Typen und Gemeinschaftsformen von Chat-Beziehungen und Freizeit- und Sozialverhalten von Viel-Chattern. Zwei der insgesamt acht vorgestellten Untersuchungen sind dem Bereich der Wahrnehmungspsychologie zuzuordnen: eine betrachtet das Webdesign unter psychologischen Gesichtspunkten, die andere beschäftigt sich mit dem Konzept der kognitiven Landkarte und deren Anwendbarkeit auf das WWW.

Es finden sich also die verschiedensten Herangehensweisen - trotzdem gibt es in den Arbeiten immer wieder thematische Überschneidungen. Da sie ursprünglich nicht als Teil eines Sammelbandes konzipiert wurden, ist dies verständlich und verzeihlich, dennoch streckenweise ermüdend. Hervorzuheben ist die von allen Verfassern geleistete Pionierarbeit in diesem relativ neuen Forschungsgebiet. Da das Internet wie kaum ein anderes Medium einer steten Wandlung unterworfen ist, stehen die Forschenden unter einem besonders großen Zeitruck, da sonst die Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung womöglich schon veraltet sind.

Problematisch ist die Frage, welches Publikum der Band ansprechen will. Soll er, wie in der Einleitung betont wird, als Ansporn für Studierende gelten "eine ebenso qualitätvolle Leistung" zu erbringen, so dürften dem recherchierenden Psychologie-Studenten nicht unerhebliche Teile fehlen: eine detaillierte statistische Auswertung sucht man vergeblich; auch ein Anhang fehlt, der, je nach Fragestellung, das Quellenmaterial, die selbstentworfenen Fragebögen oder die verwendeten Tests enthält. Eine ausreichende Orientierungsmöglichkeit im Hinblick auf eigene Forschung ist nicht gegeben, da die Arbeiten offensichtlich stark gekürzt wurden. Wenn der Anspruch an ein Fachbuch nicht erfüllt werden kann, so bleibt als potentiell anvisierter Leser nur noch der interessierte und gegebenenfalls vorgebildete Laie. Für ihn muss jedoch manches unklar bleiben: die Kenntnis gängiger psychologischer Tests kann dann ebenso wenig vorausgesetzt werden wie die statistischer Verfahren. Auch einschlägige Fachtermini bedürften dann der Erläuterung. Wer also das Buch herausgreift in der Hoffnung auf wissenschaftliche fundierte und dennoch gut nachvollziehbare Erkenntnisse zur Psychologie des Internets, wird wohl also ebenfalls nicht auf seine Kosten kommen. Die Veröffentlichung studentischer Arbeiten ist eine durchaus lobenswerte Angelegenheit - man sollte sich dann allerdings ganz einer der beiden genannten Zielgruppen verschreiben.

Titelbild

Peter Vitouch (Hg.): Psychologie des Internet.
WUV Universitätsverlag, Wien 2001.
242 Seiten, 15,99 EUR.
ISBN-10: 3851145682

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