Revoltierende Frauen und patriarchale Kommunarden
68erinnen erzählen von der Revolte der Frauen
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Wer zweimal mit dem selben pennt, gehört schon zum Establishment", verkündeten die Genossen der ApO in der bis dato puritanischen BRD der 60er Jahre und nahmen damit die Genossinnen in die revolutionäre Pflicht, die nunmehr an die Stelle der ehelichen treten sollte. Da ist es schon erstaunlich, dass Christel Kalisch, die in der berühmt-berüchtigten K 2 lebte, in Ute Kätzels Porträt der rebellischen 68erinnen erklärt, dass sie sich in der Kommune schon damals über diesen "blöden Spruch" geärgert haben. Denn er reduziere die Schwierigkeiten einer neuen, freieren Erziehung "aufs Bett". Kätzel, ihres Zeichens Historikerin und Soziologin hat 14 Alt-68erinnen (oder wie eine von ihnen lieber hören möchte "Jung-68erinnen") zu ihren Biographien befragt und dabei den Schwerpunkt auf die Zeit der Revolte in den wilden 60ern gelegt.
Unter den Befragten finden sich neben den heute noch bekannten Protagonistinnen der Rebellion Helke Sander und Frigga Haug auch längst vergessene Studentenführerinnen wie die erste weibliche AstA-Vorsitzende Berlins, Sigrid Fronius - und natürlich einige ehemalige Kommunardinnen West- und auch Ostberlins. Mit ihnen allen hat Kätzel "ausführliche lebensgeschichtliche Interviews" geführt. Die aus den Interviews hervorgegangenen Porträts beginnen mit dem familiären Hintergrund der Befragten und enden mit Reflexionen über die damalige Zeit nebst einer kurzen Beschreibung der gegenwärtigen persönlichen Situation der Frauen. Zwar wird durch die Interviews die Atmosphäre der Rebellion gegen den Mief der 60er Jahre eingefangen, in denen Frauen sich "die ängstliche Frage" stellten, ob ein Mann sie noch heiraten wird, wenn sie "einen Job hat oder nicht mehr Jungfrau ist". Doch kranken sie etwas an dem durch den "Gesprächsleitfaden" vorgegebenen stereotypen Aufbau, der die Lebensbeschreibungen der Frauen bei allen - nicht nur biographischen - Unterschieden doch in ein gewisses Korsett zwingt. Die so entstandenen Porträts hat die Autorin unter die drei Themen "Politik", "Weibliche Identität und Sexualität" und "Neue Lebensformen" gegliedert, wobei die drei Lebensbereiche natürlich nicht so scharf von einander zu trennen sind, wie die Rubrizierung suggeriert.
Zu den prägendsten Erfahrungen zählt für die meisten Befragten die Anti-Schah-Demonstration am 2. Juni 1967, bei der sie von den Polizisten in die "Schlacht am Tegeler Weg" geprügelt worden waren - und manche von ihnen noch ein gutes Stück weiter. Dagmar Przytulla von der K 1 erinnert sich darüber hinaus natürlich noch an das verhinderte "Puddingattentat" auf den amerikanischen Vizepräsidenten, Anette Schwarzenau an das "Kinderkacke-Attentat" auf die Redaktionsräume des "Stern" und Helke Sander an den Tomatenwurf-Kongress des SDS, auf dem Hans-Jürgen Krahl von Sigrid Rüger empfindlich getroffen wurde. Zuvor war der Redebeitrag Helke Sanders über das patriarchalische Gebaren der SDS-Genossen von diesen übergangen worden, was nicht nur zu der legendären Wurfattacke führte, sondern Initialzündung zur Gründung des Weiberrates zur Befreiung der Frau wurde, an den sich zahlreiche einander oft widerstreitende Erinnerungen knüpfen.
Zwar hieß es zu Zeiten der Studentenbewegung sicher nicht ganz zu Unrecht, das Persönliche sei politisch. Doch vermischen sich in dem Buch politische Erlebnisberichte gelegentlich allzu sehr mit persönlichen Anekdoten. Nun mag es für den Geschlechterkrieg in der K 1, in der die patriarchalische Struktur der Gesellschaft "verstärkt" zum Ausdruck gekommen ist, bezeichnend gewesen sein (und insofern auch mitteilenswert), dass Dieter Kunzelmann "extrem patriarchalisch und autoritär" gewesen ist und dass "sein Kommunekonzept in erster Linie aus Psychoterror bestand[en]" hat. Wer von den Kommunarden allerdings "im Bett [...] eher enttäuschend" war, muss man nicht unbedingt wissen. Aber trotz derartiger überflüssiger Intimitäten aus dem Nähkästchen ist ein informatives Buch entstanden, das die Autorin als "erste[n] Schritt" verstanden wissen möchte, "um den Anteil der Frauen an der Bewegung von 1968 umfassend historisch aufzuarbeiten".