Didaktische Irrtümer
Eine Textsammlung mit falschen Lehransätzen
Von Catherine Beck
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNach wie vor werden im Deutsch- und Literaturunterricht der Schulen vorrangig Texte gelesen und erarbeitet, die von Männern verfasst wurden. Das ist kein Phänomen, das allein an den quantitativen Gegebenheiten festzumachen ist - immer noch ist in bundesdeutschen Lehrplänen das verankert, was seit den siebziger Jahren als schulpädagogisch wertvoll und praktikabel angesehen wird.
Die aktuell geführte Kanon-Debatte kann als Gelegenheit betrachtet werden, diese Lehrpläne möglicherweise auch im Hinblick auf die literarischen Texte von Frauen einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen. Materialien dazu bietet das Reclam-Heft "Arbeitstexte für den Unterricht. Deutsche Autorinnen des 20. Jahrhunderts" in kompakter Form an.
Das vorgestellte Spektrum ist erfreulich breit gefächert, von Ricarda Huch bis Judith Hermann werden insgesamt 28 Autorinnen kurz porträtiert und Textbeispiele gegeben. Dabei liegt der Schwerpunkt allerdings allzu häufig auf dem lyrischen Schaffen - dies hatte sicherlich auch ökonomische Gründe, um den Umfang des Bandes zu begrenzen. Es bleibt aber die Frage, ob ausgerechnet Lyrik in den Sekundarstufen der Gymnasien häufig unter geschlechterspezifischen Gesichtspunkten betrachtet wird.
Dennoch: Hier finden sich nicht nur Textbeispiele aus dem Werk von Ingeborg Bachmann und Christa Wolf, die innerhalb der literarischen Öffentlichkeit eine hinreichend große Rezeption erfahren haben. Auch Arbeiten von Gertrud Kolmar, Barbara Köhler und Kerstin Hensel werden vorgestellt.
Wirklich problematisch wird das Buch allerdings nicht durch Art und Auswahl der Texte, sondern durch die didaktischen Anregungen im Anhang. Hier empfiehlt Herausgeber Peter Bekes neben historischen und poetologischen Herangehensweisen auch eine biografisch-identifikatorische Beschäftigung mit den Texten im Deutschunterricht. Zweifelsohne ist dies ein leichter Einstieg, der allerdings der ohnehin geläufigen Lesart, das Lyrische Ich mit der Autorin gleichzusetzen, Vorschub leistet, aber keine neuen Lesefertigkeiten erbringt. So wird also früh geübt, Texte stets zuerst in Bezug auf die persönliche Lebenssituation der Dichterin zu betrachten - mehr Kompetenz im Umgang mit Texten ist dadurch nicht zu vermitteln.
Auch in Hinblick auf das didaktische Ziel des Reclam-Bandes ist dieser Biografismus kontraproduktiv - geht es doch eigentlich darum, Autorinnen als gleichwertige Produzentinnen literarischer Texte zu erfahren, und diese unter historischen, ästhetischen und poetologischen Aspekten als "männliche Texten" ebenbürtige Zeugnisse weiblichen Schaffens erkennbar zu machen. Zieht man als Grundlagen dafür vorrangig die jeweilige persönliche Lebensgeschichte einer Autorin heran, muss die Analyse sehr spekulativ und daher letztlich unbefriedigend bleiben.
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