Im völkischen Glashaus

Hans Sarkowicz und Alf Mentzer legen ihr biographisches Lexikon "Literatur in Nazi-Deutschland" in einer erweiterten Neuausgabe vor

Von Marcel AtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Atze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es mag ein Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden." Dieses apodiktische Urteil konnten alle deutschen Leser im "Offenen Brief für Deutschland" nachlesen, den Thomas Mann im Herbst 1945, offensichtlich noch aufgebracht von der leidigen Diskussion mit Walter von Molo und Frank Thiess um die "Innere Emigration", in seine alte Heimat schickte. Dass auch der Autor des Briefes selbst bis 1935 mit mehreren Bänden, u. a. den ersten beiden der Josephstetralogie, im Buchhandel des Deutschen Reichs vertreten war, und Mann obendrein seinen Sohn Klaus nicht bei dessen Exilprojekt "Die Sammlung" unterstützen wollte, weil er wohl ein Verbot seiner in Deutschland lieferbaren Bücher befürchtete, hatte er, so scheint es, nach Kriegsende nicht mehr parat.

Die zumindest zeitweilige Präsenz der Werke des Literaturnobelpreisträgers auf dem nationalsozialistischen Buchmarkt legt nahe, dass der Blick auf das, was während der Herrschaft Hitlers in Deutschland erscheinen konnte, entschieden differenzierter ausfallen muss, als dies Thomas Mann wider besseren Wissens zu leisten bereit war. Der Aspekt der keineswegs monolithischen NS-Literaturpolitik, die, eher unfreiwillig, eine relative Vielfalt zuließ, wurde längst von Dietrich Strothmann, Joseph Wulf, Ernst Loewy und zuletzt Jan-Pieter Barbian erschöpfend behandelt. Dennoch blieb bei der Schilderung des literarischen Lebens (Verlage, Zeitschriften, Literaturkritik) in Nazi-Deutschland und bei der Beschreibung des nahezu undurchdringlichen organisatorischen Behördendschungels aus Reichsschrifttumskammer, aus Philipp Bouhlers "Parteiamtlicher Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums" und aus der von Alfred Rosenberg ins Leben gerufenen "Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" ein bemerkenswertes Desiderat, welches Hans Sarkowicz und Alf Mentzer mit ihrem nun in einer erweiterten Ausgabe vorliegenden biographischen Lexikon "Literatur in Nazi-Deutschland" schließen: Es rücken erstmals die Autoren in den Mittelpunkt, deren Werke für die Leser im Deutschen Reich zugänglich waren. Dass auf Hans Zöberlein das Lemma Stefan Zweig folgt, macht nur deutlich, mit welch schroffen Gegensätzen der Benutzer dieses aufschlussreichen Lexikons konfrontiert wird.

Die bio-bibliographischen Einträge liefern, einem einheitlichen Muster folgend, zunächst einige Fakten zu den einzelnen Karrieren bis 1933, charakterisieren dann das literarische Schaffen und die Rolle der Porträtierten bis 1945, um abschließend auf eventuelle Kontinuitäten nach 1945 aufmerksam zu machen. Sie fördern dabei allerlei Überraschendes zutage. Wer hätte gewusst, dass Hedwig Courths-Mahler Teile ihrer Romanmillionen als förderndes Mitglied der SS zukommen ließ? Wer hätte gedacht, dass ein dezidiert nationalistischer Autor wie Josef Winckler, der Verfasser des tollen Bomberg, soviel Rückgrat besaß, um die von den Offiziellen geforderte Scheidung von seiner jüdischen Frau abzulehnen? Und wer will, ob seines einmaligen schriftstellerischen Könnens, schon vom fehlenden Rückgrat eines Heimito von Doderer wissen, der nicht nur frühes Mitglied der NSDAP war und sich schamlos den NS-Kulturbehörden anbiederte, sondern sich sogar positiver Äußerungen zu den Nürnberger Gesetzen nicht enthalten konnte. Sie seien "Hilfe im Definitorischen", wie es am 10. Dezember 1936 in seinen Tagebüchern heißt. Auch in seinem literarischen Werk hatte Doderer nicht auf antisemitische Anfeindungen verzichten wollen. Das Romanepos "Die Dämonen" befreite er nach Auskunft von Sarkowicz und Mentzer erst nach 1945 von diesen nun nicht mehr opportunen Passagen. Da scheint es einigermaßen ungerecht, dass ein Autor wie Ernst Wiechert, der es in seiner Rede "Der Dichter und die Zeit" (1935) gewagt hatte, das NS-Regime öffentlich zu kritisieren und der 1938 nach einem schriftlichen Protest gegen die Verhaftung Niemöllers auf persönliche Anweisung von Goebbels seinerseits für sechs Wochen im KZ Buchenwald verschwand, heute kaum mehr gelesen wird.

Das große Verdienst dieses Nachschlagewerkes ist es, dass sich die darin versammelten Autoren in eine Art Typologie, bestehend aus drei streng voneinander zu trennenden Gruppen, zusammenfassen lassen. Da sind einerseits jene, die mit den nationalsozialistischen Machthabern nichts gemein hatten, deren Bücher es aber trotzdem überall zu kaufen gab. Dazu gehören der politisch gewiss unverdächtige Max Frisch genauso wie Hermann Hesse. Gleichwohl waren sie mit ihren im Deutschen Reich in hohen Auflagen verkauften Romanen und Erzählungen eben auch Bestandteil der NS-Unterhaltungsindustrie. Zu dieser Gruppe zählen auch jene in Deutschland verbliebenen jüdischen Autoren, die Literatur gewissermaßen aus den Katakomben heraus produzierten. Sie wurden von Verlagen wie Salman Schocken betreut oder konnten mit Hilfe des jüdischen Kulturbundes erscheinen. Von den Einwohnern dieses publizistischen Ghettos präsentieren Sarkowicz und Mentzer aber lediglich Gertrud Kolmar, was einen ganz falschen Eindruck hinterlässt. Schließlich konnte allein Schocken etwa 400 Titel veröffentlichen, bevor er Deutschland in Richtung New York verließ. Auch der Artikel zu Elisabeth Langgässer, der zeigt, wie man eine "Halbjüdin", so das NS-Jargon, ohne Publikationsmöglichkeiten kurzerhand mundtot machte, vermag dieses Manko nicht zu lindern. Für den Nachholbedarf stehen Autoren wie Rudolf Frank oder Arthur Silbergleit, dem Horst Bienek in seiner Gleiwitztetralogie ein inzwischen leider wenig gelesenes Denkmal setzte.

Auch viele konfessionell gebundene Autoren hatten nichts mit den Nazis gemein. Dies gilt für Albrecht Goes genauso wie für Gertrud von LeFort und Reinhold Schneider. Letzterer entwickelte sich trotz aller überwachungsstaatlicher Gängelei zum entschlossenen Machtkritiker. Anhand von Schneider zeigen die Lexikographen, was in Nazi-Deutschland bisweilen möglich war: Obwohl man ihn seitens der NS-Zensur in schöner Regelmäßigkeit als "unerwünscht" abstempelt, ereilt Schneider kein Publikationsverbot. Ein Buch wie "Las Casas vor Karl V." (1938) erscheint nicht nur, sondern es wird von verschiedensten Widerstandskreisen euphorisch aufgenommen. Erst ab 1941 bekommt er Schwierigkeiten, seine Manuskripte auch zum Druck zu befördern. Besonders tragisch ist bekanntlich der von Jochen Klepper beschrittene Weg: Die Autoren sagen ihm zu Recht "Staatstreue mit geradezu pathologischen Zügen" nach, die im gemeinsamen Selbstmord seiner Familie endete - nach einem vergeblichen letzten Gespräch mit Adolf Eichmann über Ausreisemöglichkeiten für seine jüdische Frau und die jüngste Tochter. Zum Zeitpunkt der aussichtslosen Verhandlungen (11.12.42) lief die Vernichtungsmaschinerie bereits auf vollen Touren.

Auch jene Dichter, die sich monadenhaft von ihrer nazistischen Umwelt abzukapseln suchten, die für sich die Parole Innerlichkeit ausriefen, sich mit ihren Versen in Mythos und Natur zurückzogen, lehnten die nationalsozialistischen Machthaber sicherlich ab. In der Lyrik eines Peter Huchel oder Karl Krolow etwa Chiffren gegen totalitäre Gewalt zu erkennen, heißt nicht, dass man deren Zeilen überinterpretierte. Oskar Loerke empfand nach eigenem Bekunden "Ekel und Angst" vor den Nazis, was ihn freilich nicht daran hinderte, wie Otto Flake und Hermann Kasack die Ergebenheitsadresse an Hitler, jenes "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" von 88 Autoren aus dem Oktober 1933, mit zu unterzeichnen.

Mit Loerke sind wir im Grenzbereich zur zweiten Gruppe angelangt. Hier finden sich Autoren, die zwar kaum als Nazis gelten können, die aber auch nicht über jeden Verdacht erhaben und mithin ruhigen Gewissens freizusprechen sind. Bekannt sind etwa die Konzessionen Carossas. Sarkowicz und Mentzer weisen auf dessen ambivalentes Verhalten hin, indem sie das Jahr 1938 fokussieren. Erst gab Carossa in aller Öffentlichkeit mit seiner Goethepreis-Rede "Goethes Wirkungen in der Gegenwart" ein vielbeachtetes Zeugnis humanistischer Haltung, die viele Nazigegner zu diesem Zeitpunkt nicht mehr für möglich gehalten hatten, um wenig später, kurz nach dem "Anschluß" Österreichs, vor einem kleinen Kreis überzeugter Nationalsozialisten auf den Spuren Hans Grimms zu wandeln. Dieser hatte ja schon in seinem Roman mit dem sattsam bekannten Titel "Volk ohne Raum" mit dem Satz "der deutsche Mensch braucht Raum um sich" ein wegweisendes Diktum aufgestellt. Bei Carossa heißt es: "Der Lebensraum der deutschen Volksgemeinschaft hat in diesem Jahre durch die Taten des Führers eine gewaltige Erweiterung erfahren; dafür dankt ihm die ganze Nation."

Fast die ganze Nation saß vor den Radioapparaten, wenn Günter Eichs "Deutscher Kalender. Monatsbilder vom Königswusterhäuser Landboten" im Reichsdeutschen Rundfunk lief. Eich war genauso wie Hans Fallada kein Parteigänger Hitlers, gleichwohl ließen sich beide für die Goebbelssche Unterhaltungsindustrie instrumentalisieren. Bezeichnend ist der Fall von Falladas Roman "Der eiserne Gustav", der mit allen "Verbesserungsvorschlägen" der Nationalsozialisten publiziert wurde. Genauso bezeichnend ist es, dass die unzensierte Originalversion erst 1958 in der DDR erscheinen konnte. Typisch für Autoren dieser Gruppe ist deren Schwanken zwischen Exil und Rückkehr nach Deutschland. Ernst Glaeser remigrierte 1938, obwohl er das Schlimmste befürchten musste. Wolfgang Koeppens vorübergehender Aufenthalt in den Niederlanden entging den Nationalsozialisten sogar aufgrund eines Meldefehlers. Ähnlich wie Erich Kästner wich Koeppen nach seiner Rückkehr in die Filmbranche aus, um Drehbücher für die UFA zu schreiben. Das kurioseste Beispiel, sich irgendwie durchzulavieren, bietet Alexander Lernet-Holenia. Er beherrschte nach Auskunft von Sarkowicz und Mentzer die Kunst, die Zensur an der Nase herumzuführen, bis hin zur Perfektion. Auch er landete beim Film: "Offensichtlich ist der Mangel an guten Drehbuchautoren so groß, dass auch ein als politisch unzuverlässig geltender Schriftsteller im Offiziersrang in der NS-Unterhaltungsindustrie eingegliedert wurde."

Viele ehemalige, aber deutlich zuverlässigere Offiziere gehören der dritten Gruppe an, zu jenen Autoren also, die aufgrund ihrer nationalistischen Prägung, ja ihrer unleugbaren Nähe zum Nationalsozialismus als die eigentlichen literarischen Verfechter des Dritten Reichs gelten müssen. Aus der Schützengrabengeneration des Ersten Weltkriegs gingen nicht nur pazifistische Erfolgsautoren wie Alexander Moritz Frey und natürlich Erich Maria Remarque hervor, sondern auch Werner Beumelburg, Edwin Erich Dwinger, P. C. Ettighofer, Ernst und Friedrich Georg Jünger, Franz Schauwecker und Josef Magnus Wehner. Sie hatten ihre Waffen mit dem Schreibgerät getauscht und riefen zur soldatischen Mobilmachung mit Hilfe von Texten auf, die in vielen hunderttausend Exemplaren verkauft wurden.

Diese Gruppe ist auch durch die typischen Hitleranbeter charakterisiert. Dazu zählen nicht nur die noch jungen SA-Lyriker wie Herybert Menzel und Gerhard Schumann, sondern auch die älteren Fanatiker vom Schlage eines Heinrich Anacker, Hermann Burte und Hermann Claudius. Sie trugen mit eindeutigen Worten dazu bei, die schon zu Weimarer Zeiten stets virulente Führererwartung weiter anzufachen. Nach 1933 verstanden sie es, Hitler gleichsam als den endlich aus höheren Sphären herabgestiegenen Heiland zu preisen. Zu diesen Barden gehörte auch Will Vesper, eine der mächtigsten Figuren im literarischen Leben des Dritten Reichs. Ihm widmet das Lexikon einen unverständlich kurzen Artikel, der leider auch darauf verzichtet, einschlägige Stellen aus Bernward Vespers Romanessay "Die Reise" zu zitieren. Dort weist der Sohn daraufhin, dass sein Vater "Verdienste um die Verklärung der Galionsfigur", gemeint ist Hitler, erworben habe. Und noch am 24. Dezember 1945, der ersten Friedensweihnacht also, habe man auf dem Gut Triangel die aus der Feder Will Vespers stammende Führerhymne "Fühl unsere Herzen schlagen, wozu Dich Gott gesandt" gesprochen.

Trifft schon hier Thomas Manns Behauptung zu, dass viele der Bücher, die den Markt zwischen 1933 und 1945 überschwemmten, nach Schande rochen, so erfährt man auch vieles über jene Machwerke, denen der Blutgeruch noch heute anhaftet. Sarkowicz und Mentzer stellen mit ihrem lexikographischen Prinzip viele Autoren nebeneinander, um einen schnellen Überblick zu ermöglichen. So vermag der aufmerksame Leser auf überraschende Desiderate zu stoßen; etwa in der Frage, inwieweit einige der erdnahen Autoren mit ihren Texten unmittelbar den eleminatorischen Antisemitismus der Nationalsozialisten unterstützt, mithin Beihilfe zum Massenmord geleistet haben. Von Waldemar Bonsels etwa erfährt man, dass er zwar die Bienen, nicht jedoch die Juden geliebt hat. Gustav Frenssen verteidigte nicht nur die Euthanasie, sondern auch die Judenverfolgung, hätten diese doch "in toll gewordener Gier nach der Herrschaft über das deutsche Volk" gegriffen. In dem Pamphlet "Recht oder Unrecht - mein Land!" (1940) kommentiert er die längst überfällige Reaktion des deutschen Volks, das sich am 9. November 1938 Luft gemacht habe: "Es wurde rasend. Es jagte die Meisten weg. Es jagte sie aus dem Land. Es säuberte den Boden seiner uralten Heimat von denen, die das uralte, heilige, allgemein menschliche Recht, das Gastrecht, das beiderseitige Gastrecht, [...] so über die Maßen schandvoll mit Füßen getreten." Lobende Worte für die Reichspogromnacht fand in der Mimikry einer Romanfigur auch Mirko Jelusich. So werde, wie es heißt, "erst Ruhe sein im Lande, bis alle Juden ausgewiesen sind". Erwin Guido Kolbenheyer ging in seiner Bauhüttenphilosophie freilich noch weiter, indem er den NS-Mordprogrammen mit windigen Theorien Vorschub leistete, die es als "das unveräußerliche Lebensrecht einer Gemeinschaft" bezeichneten, "die aktive Devastation des Anpassungsunfähigen zu beschleunigen". Kolbenheyer war der Schriftsteller, der im Dritten Reich die meisten Auszeichnungen erhielt. Und er war Auflagenmillionär. Auch Bruno Brehm nahm Stellung zur "Judenfrage". Seine Sätze aus dem Jahr 1942 lesen sich fast wie ein zufriedener Kommentar zu Hitlers erster sogenannter "Prophezeiung" vom 30. Januar 1939: "Wenn sich die Juden über ihr Schicksal vor der ganzen Welt beklagen, dann müssen wir ihnen doch sagen, daß sie selbst es waren, die dieses Schicksal heraufbeschworen haben." Eberhard Wolfgang Möller schließlich, der bekannteste Vertreter der Thingspielbewegung, die die Nazis vergeblich zu etablieren versuchten, war als Mitarbeiter bei Veit Harlans Film "Jud Süß" unmittelbar verstrickt in die propagandistische Vorbereitung der Vernichtungspolitik.

Kein Lob freilich ohne Tadel. Zu den Schwächen des Lexikons zählt bisweilen, dass der Blick auf die Zeit nach 1945, auf überraschende Kontinuitäten und frappante Brüche in den Biographien, allzu kurz kommt. Zwar wird am Beispiel von Hans Grimm ganz richtig herausgearbeitet, dass er keineswegs ein dumpf der Parteilinie folgender Vorzeigeautor der Nazis war. Gleichwohl bleibt unerwähnt, dass er sich dafür nach 1945 zum NS-Apologeten entwickelte, als er sich in der jungen Bundesrepublik von der Nachfolgepartei der NSDAP neben dem Mengele-Freund und ehemaligen Flieger-As Rudel vereinnahmen ließ. Er lebte weiter, um ein weiteres Mal Thomas Mann zu zitieren, in seinem völkischen Glashaus. Im Falle Hans Baumanns wird zwar gezeigt, dass der HJ-Dichter nach 1945 zum erfolgreichen und sogar international ausgezeichneten Kinderbuchautor mutierte. Übersehen wird freilich etwas viel gravierenderes: Wütend verließ Ingeborg Bachmann ihren Verlag, als sie feststellen musste, dass Klaus Piper den ehemaligen Schmied von Naziversen als Übersetzer der Strophen von Anna Achmatowa beschäftigt hatte. Sie steckte mitten in der Arbeit zum "Fall Franza" - bereits angekündigt blieb der Text Fragment. Wenn sie freilich gewusst hätte, dass einer ihrer Lektoren - Rössner - Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt gewesen ist, hätte es eines Achmatowa-Übersetzers mit brauner Vergangenheit sicher kaum bedurft, um Piper den Rücken zu kehren.

Kritik muss es auch am Autorenpool geben, den Sarkowicz und Mentzer den Lesern anbieten. Johannes Bobrowski, Franz Fühmann und Hermann Lenz aufzunehmen lässt sich zwar durchaus rechtfertigen, doch als Schriftsteller hatten sie sich bis 1945 eigentlich noch nicht präsentiert. Auch der Eintrag zu Stefan Zweig ist deplaziert. Er fand wohl deshalb Aufnahme, weil einige seiner Titel bis 1936 im Insel Verlag zu Leipzig erscheinen konnten. Doch auch die Bücher vieler anderer Leidensgenossen des literarischen Exils konnten zunächst noch in Deutschland erscheinen. Siehe, wie erwähnt, Thomas Mann, dem jedoch kein Artikel gewidmet ist. Schließlich fehlen einige wichtige Namen zur Gänze. Zwar wurde diese Auflage um 30 Autoren auf etwa hundert Einträge aufgestockt, doch scheint mir das Fehlen von Margret Boveri, Peter Dörfler, Hans Dominik, Paul Fechter, Johannes Freumbichler, Paul Gurk, Felix Hartlaub, Heinrich Hauser, Friedrich Wilhelm Heinz, Edlef Koeppen, Adam Kuckhoff, Karl Benno von Mechow, Eberhard Meckel, Alfred Mombert, Alfons Paquet, Friedrich Sieburg, Heinrich Spoerl, W. E. Süskind und last but not least Luis Trenker kaum verschmerzbar. Aber - dies muss man den Kompilatoren zugestehen - angesichts der dreihundert (!) Einzeldarstellungen, die der NS-Literaturwissenschaftler Franz Lennartz in "Die Dichter unserer Zeit" (4. Aufl. 1941) vorgelegt hatte, wird wohl jedem Nutzer des unbestritten wertvollen Kompendiums von Sarkowicz und Mentzer ein Autor einfallen, der nicht bedacht wurde.

Titelbild

Hans Sarkowicz / Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Erweiterte Neuausgabe.
Europa Verlag, Hamburg 2002.
440 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-10: 3203820307

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