"Wenn ich aufhöre zu schreiben, bin ich offensichtlich tot"

Hans-Georg Schede legt die erste Werkmonographie zu Gert Hofmann vor

Von Gesa SteinbrinkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gesa Steinbrink

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für Gert Hofmann stand die Literatur Zeit seines Lebens "im Zentrum seiner Existenz", was sich nicht zuletzt an seiner enormen Vielseitigkeit und Produktivität zeigt. Detailliert dokumentiert und analysiert der Freiburger Literaturwissenschaftler Hans-Georg Schede Hofmanns literarische Obsession, mit dem erklärten Ziel, einem der "kunstfertigsten und unterhaltendsten Schriftsteller" die ihm zustehende Aufmerksamkeit und Wertschätzung (endlich) zukommen zu lassen.

Schedes Arbeit folgt im Wesentlichen chronologisch der Entstehung des Hofmannschen Œuvres. In zwei Hauptteilen werden zunächst die dramatischen Arbeiten Hofmanns (Hörspiele und Theaterstücke) untersucht, danach wird ausführlich auf die Erzähltexte eingegangen. Zusätzlich fließen biographische sowie relevante literaturtheoretische Informationen in die einzelnen Kapitel ein, woraus sich ein umfassendes Gesamtbild ergibt.

In der ersten Werkphase von 1960 bis 1978 macht sich Hofmann vornehmlich als Hörspielautor einen Namen. Seine insgesamt 43 Hörspiele wurden von den Rundfunkanstalten zum Teil mehrfach produziert und gesendet, einige auch von ausländischen Sendern übernommen. Schede unterscheidet zwei Gruppen der Hörspieltexte: Da sind zum einen die Originalhörspiele, die hauptsächlich für den Rundfunk geschrieben wurden, darunter auch das preisgekrönte Hörspiel "Der Bericht der Pest in London" (1968), das ihm zum Durchbruch in diesem Genre verhalf. Darauf folgen die fünf produktivsten Hörspieljahre (1969 bis 1974), in denen zwölf weitere Originalhörspiele entstanden, u. a. so bekannte wie das Strindberg-Stück "Orfila" (1969), "Autorengespräch" (1970) und "Der lange Marsch" (1974). Zum anderen widmete sich Hofmann in seiner zweiten Werkphase ab 1979, die schon bald ganz im Zeichen der Prosa stand, der Bearbeitung seiner eigenen Erzähltexte. Schede spricht diesbezüglich von zwei Verfahrensweisen: Der Adaption der gesamten Vorlage einerseits und der Auskopplung einzelner Episoden andererseits.

Hofmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. 1983 den bedeutenden Hörspielpreis der Kriegsblinden für "Die Brautschau des Dichters Robert Walser im Hof der Anstaltswäscherei von Belladay, Kanton Bern", eine Gemeinschaftsproduktion des Norddeutschen und des Hessischen Rundfunks. Diese Auszeichnung wurde als eine Art "Signal" innerhalb des Genres verstanden, allerdings nicht vom Autor selbst: "Warum ich den Preis bekommen habe, weiß ich trotz der Begründung natürlich auch nicht genau. [...] Als Dichter braucht man ja nicht alles zu wissen."

Zwischen 1961 und 1983 schrieb Hofmann sieben Theaterstücke, doch konnte er als Dramatiker nicht reüssieren. Obwohl sein erstes selbstständiges Theaterstück "Der Bürgermeister" (1963 uraufgeführt) äußerst erfolgreich war, blieb seine dramatische Arbeit aufgrund technischer und inhaltlicher Schwächen sowohl qualitativ als auch quantitativ hinter dem Hörspielschaffen zurück. Dennoch sind drei seiner Dramen, "Der Bürgermeister", "Tod in Miami" und "Unser Mann in Madras" in Zusammenarbeit mit dem Süddeutschen Rundfunk vom Fernsehen adaptiert worden. Darüber hinaus verfasste er ein Originalfernsehspiel mit dem Titel "Die Brautnacht". In den 80er Jahren unternahm er zwei weitere Versuche mit Fernsehspielen nach eigenen Vorlagen, jedoch sind beide Projekte nicht verwirklicht worden. Mit der Bearbeitung des "Kinoerzählers" (1990) zum Kinofilm (1993), an dem Hofman nicht beteiligt war und wohl nur wenig Freude fand, endet das Kapitel der filmischen Produktionen.

Erst jenseits des 45. Lebensjahres, also reichlich spät, wie Hofmann immer wieder betont haben soll, ist er als Erzähler (und damit als Schriftsteller im eigentlichen Sinn) hervorgetreten. Anfangs war die Neuorientierung eigenen Aussagen zufolge mühsam. Als er 1979 den Ingeborg-Bachmann-Preis für ein Kapitel aus seinem Debütroman "Die Fistelstimme" (1980) erhielt, wandte sich Hofmann ausschließlich und nahezu exzessiv dem Schreiben zu, um nun endlich alle Geschichten, die er "jahrzehntelang" mit sich "herumgetragen, [...] unterdrückt, verdrängt und verschönt" hatte, zu Romanen und Erzählungen zu verarbeiten. Mit ungeheurer Kreativität und Disziplin veröffentlichte er zwischen 1979 und 1993 siebzehn Bücher, einige davon preisgekrönt, wie z. B. der Roman "Auf dem Turm" (als Vorabdruck in der F. A. Z. veröffentlicht), der 1982 mit dem Alfred-Döblin-Preis (1982) gewürdigt wurde. Seine Prosa, darunter "Der Blindensturz" (1985), "Veilchenfeld" (1986), "Das Glück" (1992), überzeugte schließlich auch ein breiteres Lesepublikum davon, dass Hofmann in die erste Riege der Gegenwartsliteratur gehört. Doch der späte Auftritt und Durchbruch als Erzähler, die zurückgezogene Lebensweise, die auch die literarische Öffentlichkeit mied, sowie der frühe Tod 1993 führten dazu, dass sich sein Bekanntheitsgrad und damit auch sein Erfolg nicht mit dem vergleichbarer Gegenwartsautoren messen lassen konnten. Im Ausland hingegen genoss Hofmann eine weitaus größere Reputation, seine Werke wurden in viele Sprachen übersetzt und sind heute noch beispielsweise in Frankreich und den USA sowohl in Buchhandlungen wie in Bibliotheken in größerer Anzahl vorzufinden.

Hans-Georg Schede unternimmt mit seiner Werkmonographie einen bedeutenden Schritt in der Hofmann-Rezeption. Übersichtlich strukturiert, wissenschaftlich fundiert, verständlich und spannend geschrieben verschafft er dem Leser Einblick in Hofmanns Leben und Werk. Neben inhaltlichen Werkanalysen liefert Schede auch Informationen zu den jeweiligen Entstehungsgeschichten, den Produktionsbedingungen und biographischen Aspekten sowie Kritiker- und Publikumsreaktionen und setzt sich mit stilistischen und formalen Eigenheiten Hofmanns auseinander. So befasst er sich z. B. ausführlich mit den Erzählerinstanzen im Hofmannschen Œuvre und geht dabei besonders auf die von Hofmann wiederholt gewählte, im Roman "Unsere Eroberung" (1984) dominante Wir-Perspektive ein. Die enge Anlehnung der beiden Texte "Die Denunziation" (1979) und "Die Fistelstimme" (1980) an Thomas Bernhard, den Hofmann besonders schätzte, wurde zum Teil mit Skepsis aufgenommen, während Schede zu Recht die künstlerische Ambition dieser bewussten Epigonalität herausstreicht. Zwei gesonderte Kapitel beschreiben Hofmanns Schwerpunktthemen ab Mitte der 70er Jahre: Die Künstlerexistenzen (u. a. J. M. R. Lenz, Robert Walser, August Strindberg) und die Folgen des Nationalsozialismus ("Die Denunziation", 1979; "Vor der Regenzeit", 1988).

Hans-Georg Schede würdigt Hofmann als Autor, der literarisch meisterhaft von den Abgründen der menschlichen Seele zu erzählen wusste, dessen poetische Seelenkunde von leichter Hand und mit komischen Mitteln von den deutschen Schrecken erzählte.

Titelbild

Hans-Georg Schede: Gert Hofmann. Werkmonographie.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1999.
423 Seiten, 51,00 EUR.
ISBN-10: 3826017080

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