Deutschland ein Problem

Thomas Mann und Theodor W. Adorno als Korrespondenten

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Geistige Verwandtschaft gibt es über Generationen, ja selbst über Jahrhunderte hinweg. Geht es jedoch um Freundschaft und gar Zusammenarbeit, scheint eine Altersdifferenz von zehn Jahren schwer überwindbar: Väterliches Bemühen von oben, eine konfliktträchtige Mischung von Neid auf den vielleicht schon Etablierten sowie Bewunderung und Kritik von unten sind, wenn nicht zu überwinden, so doch wenigstens ins Produktive zu wenden. Kein Wunder, dass Angehörige eines Jahrgangs meist leichter zusammenkommen als die sich Nahestehenden verschiedenen Alters.

Man mag sich zudem kaum Personen vorstellen, die weniger als Thomas Mann und Theodor W. Adorno geeignet scheinen, solche Problematik in den Hintergrund treten zu lassen: selbstbewusster Repräsentant eines mit ironischer Sympathie bedachten Deutschen, der andere ein konsequenter und scharf formulierender Kritiker jener Tradition. Es bedurfte der besonderen Situation des Exils im Krieg, dass dennoch beides zusammen kommen konnte. Thomas Mann hinterfragte die eigene, deutsche Überlieferung und interpretierte sie nun als Weg in den Faschismus. Sein Roman "Doktor Faustus" entwickelt die Fragestellung an der vorgeblich deutschesten der Künste, der Musik. Sympathie und immanente Kritik des Wagner-Kenners Mann treffen hier zusammen und führen konsequent zu der Forderung, die Wagner-Nachfolge dialektisch zu begreifen: als Übersteigerung der musikalisch identifikatorischen, spätromantischen Haltung und damit als Umschlag in deren Kritik.

Für den musikalischen Laien Mann war Adorno, der genaue musikalische Lektüre mit ideologiekritischer und skeptisch geschichtsphilosophischer Interpretation verband, der ideale Ratgeber. Ungewöhnlich genug, warb der Ältere um den Jüngeren. Wohl darum zerfiel die Hierarchie und ein instruktiver Austausch wurde möglich, der nun als der von Christoph Gödde und Thomas Sprecher herausgegebene und benutzerfreundlich kommentierte Briefwechsel vorliegt.

Dabei nimmt die eigentliche Zusammenarbeit, die im Hinblick auf "Doktor Faustus", vergleichsweise geringen Raum ein: aus dem einfachen Grund, dass Mann und Adorno nahe beieinander wohnten. Aus dieser Zeit haben sich einzelne Sendschreiben vor allem Thomas Manns erhalten, die jedoch keine kontinuierliche Diskussion zu rekonstruieren erlauben. Erst mit Adornos Rückkehr nach Europa 1949 entstand eine argumentative Auseinandersetzung. In den folgenden Jahren bis zu Manns Tod 1955 verpassen sich die häufig den Aufenthaltsort wechselnden Freunde, manchmal nur knapp: als Pech für sie und Glück für den heutigen Leser, der, was sonst mündlich ausgetauscht worden wäre, nun nachlesen kann. Der Gedankenaustausch ist auf die neuesten Publikationen beider zentriert, besonders den "Erwählten", den "Betrogenen" und die "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" auf Seiten Manns und dem bis ins musikalische Detail diskutierten "Versuch über Wagner" Adornos.

Beeindruckend ist zunächst die Form, in der korrespondiert wurde; heutige E-Mails dürften eine recht kümmerliche Schrumpfform einer Briefkultur darstellen, die bis weit ins 20. Jahrhundert reicht. Bis zu Manns Tod bleibt es beim "Sie", der Doktortitel gehört zur Anrede, selbst wenn ein "lieber" (von Seiten Manns) oder "lieber und verehrter" (von Seiten Adornos) Briefpartner angesprochen wird. Früh beginnt Adorno, sich in der Unterschrift zum "Teddie Adorno" zu verniedlichen; dadurch möglicherweise entschärfend, dass er als der Jüngere in diesem Austausch durchaus die Position des analytisch Urteilenden beansprucht. Ein einziges Mal zeigt sich Mann deshalb irritiert: "Es war mir ganz seltsam, Ihren unglaublich hochgezüchteten kritischen Stil, der wie ein Dolch ins Fleisch der Dinge geht, so brieflich-privat angewandt zu finden auf das Eigene." Doch als kurz darauf die Perspektive sich eröffnet, Adornos Analyse zu publizieren, ist er sogleich einverstanden.

Überhaupt scheint der Briefwechsel fast schon auf Öffentlichkeit angelegt zu sein. Bereits 1945 bekennt dies Mann, als er, fast fertig mit dem Brief, erfährt, dass er Adorno bald sehen wird und deshalb nicht lange schriftlich hätte erläutern müssen: "Unserm Gespräch, nächstens, mag es vorarbeiten, und gibt es eine Nachwelt, so ist es etwas für sie." Vielleicht führte das Selbstbewusstsein, unter den Augen einer künftigen Leserschaft zu schreiben, zu dem vorbildlichen Takt, den Adorno und Mann fast durchgehend auch dort treffen, wo sie über sehr Persönliches schreiben. Zwar verletzte Adorno 1951 Mann, als er allzu einfühlend dessen Roman "Der Erwählte" als Requiem für Klaus Mann deutete, der sich zwei Jahre zuvor das Leben genommen hatte, doch blieb dieser gutgemeinte Fehlgriff isoliert. Auch Krankheiten und nahendes Lebensende des Älteren werden mit einer trostreichen Dezenz behandelt, die in einer Zeit der schamlosen Verletzung jeglicher Intimität Vorbild sein könnte.

Während die persönlichen Gefühle in vornehmer Zurückhaltung bewahrt sind, sind die Urteile über manche der Zeitgenossen recht offenherzig. Kurz nach seiner Rückkehr nach Deutschland beklagt etwa Adorno "die höchst sonderbare Rolle des Herrn Ernst Jünger, eines elend verkitschten Schriftstellers, der sich vom übel Stählernen zu einem womöglich noch übleren second-hand-George mit bronzenem Laub, bunten Schuppen und lauter falscher Konkretion gewandelt hat". Bereits wurde in einer Rezension des Briefwechsels beklagt, wie sehr Adorno Jünger unterschätzt habe. Ein solches Unwohlsein ist freilich Ausweis ahistorischer Toleranz: Die Literaturgeschichte regrediert zum Museum großer Gestalten, die sich allenfalls aus zeitbedingtem Irrtum nicht angemessen schätzten. Dass ihre Größe in Kampf und Abgrenzung lag, dass sich etwa die Weltsichten Jüngers und Adornos ausschlossen und noch heute Entscheidung fordern, dies erkennt solch weitherzige Würdigung nicht. Polemik in Briefwechseln ist nicht peinliches Sediment, um das wir uns heute nicht mehr zu kümmern hätten, sondern klärt die Fronten, die jeglichem historischen Verständnis voranstehen.

Durchgehendes Thema dieser Korrespondenz ist Deutschland - nicht allein, weil "Doktor Faustus" ihren Ausgangspunkt bildete. Zum Anlass für Irritationen wird Adornos Remigration 1949, als Mann sich eine Rückkehr nach Deutschland nicht mehr vorzustellen vermag. Adorno hebt in Briefen und im Vortrag ein umfassendes Interesse für alles Geistige und Kulturelle hervor, um dann zu fragen, ob nicht der Geist verabsolutiert werde, er jeden Bezug zum Realen verliere und dadurch verraten werde. Mann, verärgert, weil Berichte das Positive, das Adorno gesagt hatte, isoliert hervorgehoben hatten, wird allerdings dadurch beruhigt, dass das Lob nur als rhetorische Vorbereitung der Skepsis fungierte. Keine Rede kann sein von einem "von pro-deutschem Patriotismus glühenden" Brief Adornos, den ein Rezensent wahrzunehmen meinte. Noch wo Adorno das individuelle Bemühen lobt, erkennt er dessen Nichtigkeit in der von der Kulturindustrie bestimmten Welt. Das Geistige, das für seine Frankfurter Studenten der unmittelbaren Nachkriegszeit die vom Zusammenbruch der faschistischen Kräfteentfaltung hinterlassene Leere zu füllen hat, bezeichnet dabei den deutschen Sonderfall einer universal zum sinnlosen Betrieb tendierenden Kultur; Sonderfall allerdings in Adornos Sicht, insofern die "kollektive Energie", die die Deutschen in das "faschistische Unternehmen" eingehen ließen, ihr Ziel verfehlte und, was zurückblieb, "im metaphysischen Sinne kaum weniger ein Trümmerfeld als im physischen" sei.

Das Thema Deutschland ist damit nicht erledigt: das Verhältnis beider Korrespondenten zum Herkunftsland, das nicht mehr Heimat zu sein vermag, bleibt ambivalent. Adorno bekennt, er habe, als er Mann an der "entlegenen Westküste" kennenlernte, das Gefühl gehabt, "zum ersten und einzigen Mal jener deutschen Tradition leibhaft zu begegnen, von der ich alles empfangen habe: noch die Kraft, der Tradition zu widerstehen". Ein Zeugnis der Verbundenheit wie des Bewusstseins davon, dass jene aufs exilierte Individuum zurückgezogene Tradition eigentlich bereits verloren sein könnte, ja vielleicht stets eine Sache Vereinzelter war. Mann seinerseits, den die von den Verfolgungen der McCarthy-Zeit geprägten U. S. A. zur Rückkehr nach Europa veranlassten, betonte: "Deutschland kommt nicht in Betracht, es ist mir zu unheimlich." Allzu "gespenstisch" käme es ihm vor, wieder an der Isar zu spazieren, als wäre nichts geschehen.

Dennoch bleibt einziger Bezugsrahmen seiner Arbeit die deutsche Kultur. Kaum ein Lob dürfte Mann mehr erfreut haben als das Adornos in einem Brief von 1951, in dem dieser ihm bescheinigt, kraft des "unerhört disziplinierten geistigen Verfahrens" zu einer Modernität vorgestoßen zu sein, die abgesehen von Joyce in der Literatur beispiellos sei. Der kühnen Parallele folgt ein musikalischer Vergleich: mit Schönberg, jenes Komponisten, der spezifisch deutsche kompositorische Verfahrensweisen konsequent weiterentwickelte, dessen folgerichtige Dodekaphonie, die die Vorherrschaft der deutschen Musik sichern sollte, freilich als kulturbolschewistisch und jüdisch denunziert wurde.

Thomas Mann und Schönberg repräsentieren in dieser Perspektive eine konservative Revolution, die mit der politischen Konstruktion gleichen Namens wenig zu schaffen hat. Beide beginnen nicht als Revoluzzer, um sich später konformistisch einzufügen, sondern sie bearbeiten das sprachliche und musikalische Material derart bewusst, dass es aus eigener Tendenz zum Neuen wird; zu einem Neuen, das nicht provokativ gesetzt, sondern notwendig ist und deshalb keine Rücknahme gestattet. Das Gefühl, einer Tradition verpflichtet zu sein, sprengt diese Tradition und zwingt dadurch seine Repräsentanten in eine Isolierung, die auch äußerlicher Erfolg, im Falle Manns, nicht beheben kann. Der Isolation verbunden ist das Bewusstsein, dennoch Repräsentant des Ganzen zu sein - Bewusstsein Schönbergs, Manns und Adornos und damit verbindende Grundlage der Korrespondenten, denen es vielleicht deshalb gelang, sich zu verständigen.

Titelbild

Theodor W. Adorno / Thomas Mann: Briefwechsel 1943-1955.
Herausgegeben von Christoph Gödde und Thomas Sprecher.
Übersetzt aus dem ## von ##.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
176 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3518583166

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