Perspektivenwechsel
Auf Hanns-Josef Ortheils Künstler-Trilogie folgt der "Roman eines Vaters"
Von Doris Betzl
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs scheint sich wahrhaftig so zu begeben: Mit den eigenen Kindern gerät die bisherige Welt aus den Fugen. Die Perspektiven verschieben sich, der Fokus wird verengt, Gewichtungen werden verlagert. Ein eigener Kosmos tut sich auf, der sich räumlich nicht weiter erstreckt als ein Halbtags-Fußmarsch mit zwei Kindern an der Hand: eine Welt voller Buntstifte, Baumstümpfe und Bärenhöhlen. Neue Rituale werden zum Faszinosum: "Lo kann jetzt die Zahnpastatube schon alleine ausdrücken, ohne Hilfe, alleine. Auf der Tube ist ein kleiner Drache, wenn sie den sieht, muß sie immer lachen." Wer dem nicht mit gleicher Begeisterung folgen kann, der bleibe bitte fern: Yuppie-Freunde werden ohne Gewissensbisse vergrault.
Der in Jetzt-Zeit berichtende Vater in Hanns-Josef Ortheils aktuellem Roman "Lo und Lu" ist Schriftsteller, Musik- und Rotweinkenner: ein Schöngeist, der bisher "Wachteleier in einem Kartoffelsalbeischaumbeet" zu schätzen wusste. Er mutiert zum Heimvideo-Familien-Filmer, der die Krabbelkünste seines Sprösslings mit Musik unterlegt - "Musik von Scarlatti, ich meine Domenico und nicht Alessandro Scarlatti, ist genau die richtige Begleitmusik zu intensiv betriebenem Krabbeln". Natürlich.
Auf wundersame Weise schmiegt sich der weite intellektuelle Kosmos dem individuellen, momentanen Erleben an: Des Vaters Raisonnements anlässlich eines Wanderzirkus-Besuchs etwa entpuppen sich als "Ansichten eines Clowns". Denn was tut ein Schriftsteller, der Vater und Hausmann wird, für gewöhnlich? Er schreibt. Aber erst, nachdem sämtliche Höhlen der Umgebung ausgeforscht, der heimische Hang-Garten neu gestaltet und die Picasso-Ausstellung samt Tochter und Malblock zur Genüge erkundet ist. Wenn der Vater dann nicht zu müde ist.
Und überhaupt: Eigentlich hat der Schriftsteller eine Schreibblockade. Denn zum Gelingen großer Literatur wäre im Idealfall persönliches Unglück des Schaffenden von Nöten. Das Gegenteil ist beim Protagonisten der Fall: "Durch das Leben mit Lo und Lu aber bin ich abgekoppelt vom Denken und Planen des Unglücks, ein solches Leben wäre nicht einmal vorstellbar mit solch einem Denken." Treffender hätte der Schriftsteller sein Problem nicht formulieren können.
Die Hauptbeschäftigung des Protagonisten ist jetzt also: Staunen. Und nur noch drei Figuren sind wichtig: der Vater und seine Kinder, Lotta und Lukas - Lo und Lu. Fünf Jahre lang, von der Geburt des jüngeren Sohnes Lu bis zu Los Einschulung. Selbst die berufstätige Ehefrau und Mutter, "La Mamma" genannt, erscheint im Leben des Trios nur fragmentarisch am Rande - und dann meist in Meinungsverschiedenheiten, die Erziehung betreffend. Der Vater, da ganztägig als solcher beschäftigt, spielt hier gerne seinen Wissensvorsprung vor der Feierabend-Mutter aus: "Sie stellt sich vor, daß die Kinder spätestens gegen sieben im Bett liegen und sich nicht mehr rühren. Ich halte ihr entgegen, daß die Kinder bisher nur an sehr wenigen Tagen gegen sieben im Bett lagen und sich meist recht lange rührten".
Neben dem Dreigestirn Vater-Tochter-Sohn wird die elterliche Beziehung als Ehepaar, erotische Zweisamkeit gar (irgendwie müssen die Leibesfrüchte ja entstanden sein), ausgeklammert. Zum Vergleich: In Ortheils historischen Künstlerromanen "Faustinas Küsse" (1998) und "Im Licht der Lagune" (1999) ist Erotik stets eine wichtige Komponente, der, größte Liebhaber aller Zeiten' ist gar Hauptfigur des Vorgänger-Romans "Die Nacht des Don Juan" (2000). Die "urromantische Idee der Kunst der Verführung und der Verführung durch die Kunst" bescheinigt Michaela Kopp-Marx dem letzten Werk aus Ortheils literarischer Trilogie.
Nun, die Perspektiven verschieben sich: Der "Roman eines Vaters" ist eher eine Episodensammlung - eine Kette von Berichten aus der zauberhaften neuen alten Welt der Kinder. Die gemeinsamen kleinen Abenteuer sind in locker-leichte Sprache gefasst, wie mit einem permanenten Lächeln unterlegt, in großer Nähe zu Axel Hackes Kolumnen "Das Beste aus meinem Leben". "Lo und Lu" ist sicher kein außergewöhnliches Stück Literatur - es ist schlicht die glückerfüllte, 350 Seiten lange Liebeserklärung eines Autors an seine Kinder.
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