Ein Roman wie ein Fotoalbum

Elke Naters schickt in "Mau Mau" ihre Figuren an den Strand

Von Oliver SeppelfrickeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Seppelfricke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 1963 geborene Elke Naters hat eine Schneiderlehre absolviert. Und sie hat Kunst und Fotografie studiert. Das merkt man ihrem neuen Roman "Mau Mau" besonders an. Denn die Szenen hat sie maßgeschneidert, die einzelnen Teile hat sie präzise zu einem abgeschlossenen Ganzen zusammenfügt, und ihre Beschreibungen der Personen und Orte sind so genau, daß man als Leser meint, Fotografien vor sich zu sehen. Man liest dieses Werk, das 174 Seiten umfasst, wie einen Gang durch ein Fotoalbum. Oder wie eine Fotoreportage.

Was passiert? An einem namenlosen Ort, irgendwo in der Ferne, an einem einsamen Strand unter immerblauem Himmel machen fünf Freunde gemeinsam Urlaub. Da ist Ida, die Erzählerin. In den Dreißigern, wie wohl alle aus dieser Gruppe. Und da sind mit ihr zwei Pärchen: Mika, die Laute, bestimmt, was im Quintett gespielt wird, wo und wie lange. Ob Mau Mau, Witzeerzählen, Lachen oder Schweigen. Sie bestimmt die Dynamik in der Gruppe. Die dritte Frau heißt Susanne. Sie ist stolz und schön, schweigsam, und meist abweisend. Und da sind deren Männer. Carsten, der seinen Körper penibel pflegt, er kleidet sich teuer und gewählt, ein kleiner Dandy, stets gut gelaunt. Er gehört zu Susanne, der schönen Schweigsamen. Zu Mika, der Lauten, gehört Frank, der Stumme. Er betrinkt sich jeden Abend, beschimpft dann alle und schläft schnurstracks ein. Der Kopf fällt ihm auf den Tisch, Mika bringt ihn ins Bett, jeden Abend das gleiche Schauspiel. Doch der Ort ist klein, das Restaurant kaum besucht, da fällt die Eskapade nicht groß auf. Irgendwie scheint das alles zur Fremde dazuzugehören, das Trinken, das Kartenspielen, die Langeweile. Mal wird einer krank, mal wird gelacht, mal zanken sie sich, aber immer wieder finden die Fünf doch noch zueinander. Eine Zwangsgemeinschaft.

Elke Naters fängt all dies mit einer ungeheuren Präzision ein. Ihre Sprache ist klinisch genau, die Schwüle der Luft weiß sie mit der Kälte ihres die Gefühle sezierenden Blicks zu konterkarieren. Man liest dieses Buch fast wie eine Enthüllungsgeschichte. Denn schließlich kommen viele der verborgenen Seiten der Persönlichkeiten ans Licht, die Beweggründe für Launen und Stimmungen. Dass Frank, der Trinker, ein Hypochonder ist, erfährt man; dass Mika, die Laute, sich in den Vordergrund schiebt, um ein Betätigungsfeld für ihre Liebe zu finden; daß Carsten, der Beau, Pillen nimmt, um bei Laune zu sein; oder daß Susannes Einsamkeit nicht gewollt ist. All das ist in gültigen Bildern festgehalten. Nur Ida, die Erzählerin, bleibt unterbelichtet.

Doch dann ändert sich auf einmal die Perspektive. Es ist nicht mehr Ida, die erzählt, sondern Mika. Und die laute Egozentrikerin, als die sie bisher gezeichnet wurde, verwandelt sich auf einmal in eine treue Liebende. Die ihren Frank genau deshalb nicht verlassen kann, weil er so versagt. "Auch dafür liebe ich Frank", so heißt es, "für seine Verläßlichkeit. Man kann sich darauf verlassen, daß er versagt, wenn es darauf ankommt." Von einer solchen Lakonie, von einer solchen paradoxen Weltsicht sind viele Stellen in diesem Buch, das als Nahaufnahme einer Freundesgruppe anfängt (im ersten Teil), und als Hohelied der Liebe endet (im zweiten Teil), wenn Mika erzählt, warum sie trotz allem ihren Frank liebt.

Was treibt einen Menschen an, so zu sein, wie er ist? Wer bei "Big Brother" nicht auf seine Kosten kam, weil ihm das alles irgendwie zu banal erschien, der kann bei Elke Naters nun eine literarisch gehobene Variante dieses Containerexperiments lesen. Wie kommen fünf Menschen auf engem Raum miteinander aus? Wie verbringen sie ihre Zeit, wovon sprechen sie? Was sagen Gesten und Handlungen? Was ist der Subtext unter allen Äußerungen? Warum stimmen Reden und Handeln nicht überein?

Elke Naters hat einen gelungenen Roman über eine geschlossene Gesellschaft von Thirtysomethings geschrieben. Deren Mitglieder von Lebenshoffnungen und Illusionen geprägt sind, aber genauso auch von einem Realitätssinn, der schon fast zynisch zu nennen ist: Man macht weiter, auch wenn alles schiefgeht, gerade weil es schiefgeht. Wer etwas über den Lebensantrieb der Dreißigjährigen erfahren will, der liegt mit diesem tiefenscharf erzählten Buch richtig!

Titelbild

Elke Naters: Mau Mau. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002.
174 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3462030728

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