Einsam auf der Insel

Thomas Langs Romandebüt "Than"

Von Oliver SeppelfrickeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Seppelfricke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Than ist stumm. Der Ich-Erzähler in Thomas Langs Romandebüt hatte einen Unfall. An seinem Arbeitsplatz, einem Filmset, hat man ihm einen dummen Streich gespielt: Stundenlang hat man ihn oben in seinem Kran warten lassen, damit er Papierkonfetti wie Blumenblätter herrunterregnen lasse, doch dann kommt eine Windböe, der Kran schwenkt aus und Than prallt mit voller Wucht auf eine Glasscheibe. Von da an ist er sprachlos. Schockreaktion? Eine Folge der Kopfverletzung, die dadurch entstand? Oder handelt es sich um ein traumatisches Versiegen der Sprache? Die Ärzte meinen, es sei alles in Ordnung und schicken Than in die Psychiatrie. Doch bevor er dort eine Karriere beginnt, flieht er. Wohin? Natürlich auf eine einsame Insel.

Doch nicht in die Ferne lässt Thomas Lang seinen stummen Ich-Erzähler ausweichen, sondern ganz in die Nähe: auf eine Insel im Süden Deutschlands wo es Weißbier und Wurst gibt (man könnte an die Fraueninsel im Chiemsee denken). Dort mietet sich Than in eine Pension ein. Er gibt vor, eine Studie über das ansässige Kloster schreiben zu wollen, schottet sich ab und genießt fortan die Stille. Mechanisch und intensiv tastet er die neue Umgebung ab. Lernt die Menschen kennen, mit denen er nicht reden kann oder will, lernt Orte und immer wiederkehrende Handlungen des Insellebens kennen, die ihn fortan begleiten werden. Der wiederkehrende Streit der immerselben Kontrahenten, die ständigen Nörgeleien und Frotzeleien, die täglichen Abläufe in einem verengten räumlichen und sozialen Klima. Than bändelt mit der Töpferin der Insel an (oder vielmehr sie mit ihm), allerlei komische Dinge passieren, wie seltsame Tode oder körperliche Bedrohungen, allerlei Kunstmaterial taucht auf wie Gemälde oder Videobänder, auf denen man sich ein Bild von der Wirklichkeit machen kann, doch was wirklich passiert, das bleibt unklar. Bis zuletzt.

Thomas Lang hat diese Geschichte um Verdunkelung und Flucht gut in Szene gesetzt. Seine Sprache ist ruhig und genau, sie tastet sich sicher von Detail zu Detail, so wie die Wellen auf dem See sich langsam von Ort zu Ort schlängeln. Thomas Lang beschreibt so präzise und detailreich, dass man meint, in einem Film zu sitzen. In einem Stummfilm, um Bilder zu sehen. Es ist ein filmisches Erzählen, das Thomas Lang hier gelingt.

Das zentrale Motiv ist Thans Stummheit. Seine Weigerung oder sein Unvermögen zu reden. Und es ist schon keine kleine Hürde, zumal für einen Debütanten, seinen Helden kein Wort sagen zu lassen. Aus der Spannung zwischen der Stummheit des Erzählers und der Beredtheit seines Textes entsteht das reizvollste Moment in diesem Werk. Verstummen und übervoller Detailreichtum der Beschreibung stehen hier in einem Verhältnis, das die Lektüre spannend macht (und rätselhaft). Am Ende ist man, was sonst, auch nicht viel schlauer als am Anfang. Dazwischen ist Rätseln und Staunen.

Staunen vor allem über diesen jungen, 35-jährigen Autor. Denn Thomas Lang überzeugt in seinem Erstlingswerk mit einer für Debütanten erstaunlich sicheren Hand. Sorgfältig in der Sprache und in seinen Motiven hat er die Suche nach der Wahrhaftigkeit einer Person und nach der Wahrheit seiner Umstände in Szene gesetzt. Hat seine Geschichte vom stummen Flüchtling und der sprechenden Umgebung so inszeniert, dass man als Leser ständig im Ungewissen bleibt, ohne dass dieses Nichtwissen einen störte. Im Gegenteil. Man liest und rätselt, und doch liest man weiter. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass Thomas Lang für sein Zentralmotiv, die Stummheit, genau die richtige Sprache gefunden hat.

Titelbild

Thomas Lang: Than. Roman.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2002.
188 Seiten, 16,50 EUR.
ISBN-10: 3803131669

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