Differenz durch Wiederholung

Uwe Wirths Sammelband wichtiger Texte zum Performanz-Begriff

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sei ein "garstiges Wort", und vielleicht habe es auch "keine sonderlich großartige Bedeutung" - wohl kaum ein Autor hat sich ähnlich kritisch zur Einführung eines seiner Neologismen geäußert wie John L. Austin zu dem von ihm geprägten Begriff "performativ". Doch immerhin weiß er auch etwas Positives über das Wort zu sagen, "daß es nämlich nicht tief klingt". Inzwischen hat Austins "garstiges" Wort eine ansehnliche Kariere hinter sich. Anfang der 60er Jahre geprägt, avancierte es über die Jahrzehnte hinweg zu einem der zentralen Begriffe der Sprachphilosophie, wurde für die neuere Literaturtheorie bedeutsam, leitete eine Wende in den Kulturwissenschaften ein, steht seit einiger Zeit für eine subversive Praxis in der durch Judith Butler revolutionierten Gender-Theorie und strahlt bis hin auf den Performanz-Begriff der Theaterwissenschaften aus.

Diese Erfolgsstory spiegelt sich in dem von Uwe Wirth herausgegebenen Band "Performanz" wieder, der eine Reihe grundlegender Texte zu den um den Performanz-Begriff entwickelten Diskursen ebenso präsentiert wie Originalbeiträge zu aktuellen Problemen einer Theorie der Performanz zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften.

In einer ebenso umfangreichen wie dichten und erhellenden Einleitung zeichnet der Herausgeber die Begriffsgeschichte des in Rede stehenden Ausdrucks vom "terminus technicus der Sprechakttheorie" zum "umbrella term der Kulturwissenschaften" ebenso nach wie die gegen den Performanzbegriff - etwa von dekonstruktivistischer Seite - erhobene Kritik. Performanz, erläutert Wirth, kann sich sowohl auf das "ernsthafte Ausführen von Sprechakten", das "inszenierende Aufführen von theatralen oder rituellen Handlungen", das "materiale Verkörpern von Botschaften im 'Akt des Schreibens'" oder auf die "Konstitution von Imaginationen im 'Akt des Lesens'" beziehen, wobei die "kulturwissenschaftliche 'Entdeckung des Performativen'" darin liege, dass sich alle Äußerungen auch als Inszenierungen, also als Performances auffassen lassen. Thematisiere die Sprachphilosophie die kommunikative Funktion von Sprechakten und problematisiere "die funktionalen Bedingungen der Möglichkeit des kommunikativen Gelingens", so untersuchten die kulturwissenschaftlichen Performanzkonzepte "die Wirklichkeit der medialen Verkörperungsbedingungen". Die "Verschiebung" der Aufmerksamkeit von den "sprachphilosophischen Gelingensbedingungen" hin zu den "medialen Verkörperungs- und Übertragungsbedingungen" erfordere nun eine kritische Reflexion dessen, was unter dem Akt der Verkörperung zu verstehen ist und wie dieser mit der Bewegung der Iteration interferiert - ein noch immer zu hebendes Desiderat.

Die, wie Wirth schreibt, "hochproblematische" Ineinssetzung von Zitierbarkeit und Iterierbarkeit offenbare eine "folgenschwere argumentative Schwachstelle" der kulturwissenschaftlichen Performanztheorie. Denn wenn Zitate stets spezifische Formen der Wiederholung seien, so gelte darum noch lange nicht, dass die Iterierbarkeit der Zeichen dazu führe, dass "jedes Zeichenvorkommnis als Zitat aufzufassen sei". Hilfe erhofft Wirth sich hier von Pierces Type-Token-Differenzierung. Sie biete die "Möglichkeit einer medialen Reformulierung sowohl des Iterationskonzeptes als auch des Konzepts wiederholbarer Materialität".

Der Herausgeber hat den Band in drei Sektionen gegliedert: Der erste Teil gilt der sprachphilosophischen und literaturtheoretischen Auseinandersetzung mit Austins Begriffsprägung, die mit zwei Vorlesung aus dessen "Theorie der Sprechakte" einsetzt. Im weiteren werden so zentrale Texte wie John R. Searls "Was ist ein Sprechakt?", Roland Barthes "Der Tod des Autors", Michel Foucaults "Die Aussage definieren", Jacques Derridas "Unabhängigkeitserklärung" und ein Auszug aus Jürgen Habermas' "Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln" präsentiert. Ähnlich klangvolle Namen finden sich in der zweiten Rubrik, die die 'kulturwissenschaftliche Wende' des Performanz-Begriffs in Anthropologie, Theaterwissenschaften und Gender-Studies dokumentiert. Darunter Umberto Eco ("Semiotik der Theateraufführung"), Erika Fischer-Lichte ("Grenzgänge und Tauschhandel") und Judith Butler ("Performative Akte und Geschlechterkonstitution"). Im letzten Teil zeigen Originalbeiträge u. a. von Sybille Krämer ("Sieben Gedanken über Performativität als Medialität"), Doris Kolesch und Annette Jael Lehmann ("Bildinszenierungen als Orte performativer Wirklichkeitskonstitution") sowie Niels Werber ("Probleme des Performanzbegriffs aus systemtheoretischer Sicht") neue Perspektiven in der Verwendung des Performanzbegriffs auf und erörtern seine "rhetorischen Anschlussmöglichkeiten".

Eckhard Schumacher schließlich stellt "Überlegungen zum Verhältnis von Performance und Performativität" an und richtet sein Augenmerk auf Sprechakttheorie, Dekonstruktion, Gender Studies und Performance Studies. Besondere Beachtung verdienen seine Ausführungen zu Judith Butlers Konzept der Performativität, das auf Verfahren der Resignifikation und Zitation basiert. Zwar moniert er, dass die Gender-Theoretikerin aufgrund ihrer sozialen und politischen "Hochrechnungen" die "Feinheiten" der 'Gegenstände' tendenziell aus den Augen verliere. Doch verteidigt er sie gegen in der deutschsprachigen Rezeption virulente Fehlinterpretationen ihres Buches "Gender trouble", mehr noch aber gegenüber der Kritik von Peggy Phelan. Zunächst arbeitet Schumacher jedoch Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den beiden feministischen Theoretikerinnen heraus. So widersetzen sich zwar beide, dem - wie er Butler zitierend schreibt - "fundamentalistischen Rahmen, in dem der Feminismus als Identitätspolitik artikuliert wurde", jedoch differieren sie in "entscheidenden Punkten". Setze Butler auf Resignifikation und auf "Differenzproduktion durch Wiederholung", so versuche Phelan über die "Kopplung" von Präsenz und Absenz "Gegenwärtigkeit, Singularität und Negativität als Strategien des Widerstands gegen gängige Modelle von Reproduktion und Identität" zu begreifen. Das "wiederholte Ausstellen von Ambivalenzen", das für Butler die "einzige Möglichkeit zur Subversion" darstelle, trage aus Phelans Sicht ebenso zur "Stabilisierung von Machtstrukturen" bei wie das Verfahren der Zitation. Mit dieser "vereinfachenden Verabsolutierung", so Schumacher, falle Phelan hinter das von Derrida und Butler vorgegebene Argumentationsniveau zurück. Verwirft er Phelans "Ontologisierung der Performance" und ihre implizite Butler-Kritik, so findet er in Philip Auslanders Buch "Liveness. Performance in a mediatized cultur" Überlegungen, mit deren Hilfe Butlers Konzept "medientheoretisch reformuliert" werden könne.

Titelbild

Uwe Wirth (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
436 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3518291750

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