Die Angst des Mannes vor der verschlingenden Frau

Lilith und ihre Schwestern

Von Christine KanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Kanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Sigmund Freud über Karl Abraham bis zu Karen Horney waren sich die führenden Psychoanalytiker einig: Nicht nur für das Kleinkind erscheint die Mutter während bestimmter Entwicklungsphasen als böses, verschlingendes, einverleibendes Monster. Karen Horney betonte in ihrem Aufsatz "The Dread of Women" (1932), daß die Furcht vor der Mutter viel tiefsitzender als die vor dem Vater sei und daher viel energischer unterdrückt werde. Den psychoanalytischen Diskursen über die Angst des Mannes vor der Frau steht eine weltliterarische Tradition zur Seite, die von der gleichen Angst zeugt. Man denke nur an all die furchterregenden Frauen in der Literatur, die die Männer zu verschlingen drohen: Odysseus muß sich an einen Mast binden lassen, um der Macht der Sirenen nicht zu erliegen. Dalila beraubt Samson seiner Kraft. Judith enthauptet Holofernes. Salomé trägt in einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers. Man erinnere sich auch der unlösbaren Rätsel der Sphinxen sowie des 'Teufelswerks' der Hexen, die, weil gefürchtet, verbrannt wurden. Die 'männliche' Angst vor dem 'Weiblichen' besagt: 'Nicht ich habe Angst vor der Frau, sondern sie ist böse, verbrecherisch und unheimlich.'

Die weibliche Inkarnation des Bösen, Teuflischen und Unheimlichen schlechthin ist die Gestalt der Dämonin Lilith. Ihre böse Verführungsgewalt, Sinnlichkeit und Gefährlichkeit - grundlegende Eigenschaften auch der um die Jahrhundertwende zum Literaturtypus gewordenen Männerphantasie 'Femme fatale' - haben noch im 20. Jahrhundert zahllose Literaten und Künstler inspiriert. So läßt Thomas Mann seinen Hans Castorp im "Zauberberg" von dem Literaten Settembrini darüber belehren, was für eine sündhaft-furchterregende Frau die Figur der Lilith nach der hebräischen Sage sei: ein "Nachtspuk", "gefährlich für junge Männer, besonders durch ihre schönen Haare."

Als Kindbetteufelin, als Vampir, als Verführerin und Mutter böser Geister und auch als Patronin der Onanie ging Lilith in Volksaberglauben und zahlreiche Mythen ein. Doch verkörpert sie nicht nur die dunklen Seiten weiblicher Sexualität. Als Adams erste Frau, die ihm die Unterordnung verweigerte, symbolisiert sie gleichermaßen die furchteinflößende emanzipierte Frau. Die Ethnologin Dorothee Pielow ist dieser weiblichen Teufelin in einer anregenden, wissenschaftlichen Studie nachgegangen, wobei sie sich insbesondere auf die religiösen und magischen Vorstellungen des arabischen, jüdischen und christlichen Kulturkreises konzentriert hat. Im Zentrum ihrer Untersuchung stehen "rein quellenkundliche Auswertungen des Problemkreises als Basis für eine zukünftige Feldforschung auf dem Gebiet der weiblichen Dämonologie im islamischen Kulturraum." Immerhin liefern sowohl das einleitende wie auch das abschließende Kapitel einen spannenden Überblick auch über zahlreiche Literarisierungen und bildliche Darstellungen dieser Figur. So macht die Studie einerseits das Ausmaß deutlich, in dem die bekannte jüdische Dämonin Lilith (vor allem europäische) Künstler und Literaten gleichermaßen inspiriert und sie belegt andererseits, daß die "Nächtliche" nicht für eine einzige, sondern für einen bestimmten Typus weiblicher Dämoninnen steht und damit eine spezifische weibliche Dämonengattung begründet. Ein nicht nur für Dämoninnenforscherinnen, sondern für alle Kulturwissenschaftler anregendes Buch.

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Dorothee Pielow: Lilith und ihre Schwestern. Zur Dämonie des Weiblichen.
Grupello Verlag, Düsseldorf 1998.
239 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3928234943

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