Melancholische Dynamik

Zwei Comic-Variationen über den Alptraum

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der mittelalterlichen Vorstellungswelt ritt der Tod auf einer weißen Mähre über die Köpfe der Sterblichen hinweg, um Ernte zu halten, ein für zeitgenössische Vorstellungen alptraumhaftes Bild, das in der Nachtmähre - der Entsprechung für "Alptraum" - seinen Ausdruck fand. David B., Mitglied des französischen Comicautorenkollektivs "L'Association", hat diesem Transportmittel nun eine eigene Sammlung von kurzen Geschichten gewidmet. In "Das bleiche Pferd" reizt er die Mittlerfähigkeit des Comics für Träume aus: In besonderer Weise scheinen Comics geeignet, über stilisierte Zuspitzungen und zeichenhafte Verknappung der Eindeutigkeit von Filmbildern zu entgehen, ohne einen Verlust an Unmittelbarkeit hinnehmen zu müssen.

In grossflächigen, ruhenden Schwarzweißflächen und groben Schraffuren entfaltet David B. seine subjektive (Alp-)Traumwelt. Wiederholt arbeitet der Autor mit Gegensätzen und bezieht aus den Reibungen eine eigene, melancholische Dynamik. Schatten und Licht, Traum und Bewusstsein sind die Gegensätze, denen David B. eine Menge Symbolik abgewinnt. Dem arbeiten die kontrastierenden Schwarzweißflächen zu, die das Spannungsfeld grafisch umreißen, wobei Schwarz den Grundton vorgibt.

Die versammelten Bizzarien wollen sich nicht unbedingt dem Leser erschließen; vielmehr wollen sie erzählen. Weniger die Analyse, als die poetische Qualität der Träume steht im Vordergrund. Die Möglichkeit und Metapher des Erwachens bleibt hingegen ungenutzt, so dass sich nach einiger Zeit die geballte Symbolik etwas abnutzt und dadurch teilweise eine gewisse Banalität nicht verleugnen kann.

Auch die zweite, kleinformatigere Publikation ist einem skurrilen Alptraum entsprungen: Jede Familie bekommt eine anthropomorphe Verhaltenmuster aufweisende Bombe zugeteilt, die sie wie einen Gast beherbergt, sogar mit ihr eine Symbiose eingeht. Eines Tages aber wird die Bombe dann zum Einsatz kommen und sich gegen ihre Gastgeber wenden.

David B. nutzt diese kleinformatige Publikation zur Erprobung comicspezifischer Spielräume. Jede Seite ist in jeweils ein bis zwei Panels unterteilt, was die Lesegeschwindigkeit erheblich reduziert und dem klaustrophobischen Charakter der Erzählung Rechnung trägt. Diese Wirkung wird wiederum durch die Dominanz großzügiger Schwarzflächen unterstützt. Text und Bild sind voneinander separiert, dem tritt während der Erzählung ein Erzähler- und Perspektivwechsel zur Seite. In ihrer Kürze ist die "Familienbombe" sehr viel vielgestaltiger und nutzt comicspezifische Narrationsmuster sehr viel bewusster als im "Bleichen Pferd".

Kein Bild

David B.: Die Familienbombe. Comic.
Übersetzt aus dem Französischen von Martin Budde.
Reprodukt Verlag, Berlin 2000.
24 Seiten, 3,00 EUR.
ISBN-10: 3931377431

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Titelbild

David B.: Das bleiche Pferd. Comic.
Übersetzt aus dem Französischen von Martin Budde.
Reprodukt Verlag, Berlin 2001.
80 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3931377393

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