Der männliche Blick der Medusa

Elke Surmann über Tod und Liebe bei Richard Beer-Hofmann und Arthur Schnitzler

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der griechischen Mythologie zufolge wurden die außergewöhnlich schöne Gorgone Medusa und ihre ebenso begehrenswerten Schwestern Stheno und Euryale von den Göttern für ihren maßlosen Stolz in derart entsetzliche Ungeheuer verwandelt, dass ihr bloßer Anblick jedermann zu Stein erstarren ließ. Elke Surmann kehrt den Mythos um. Nicht mehr der Betrachter erstarrt durch den Anblick der Frau zu Stein, sondern diese unter dem "mortifizierenden Blick" des Mannes. Die Ausgangsthese von Surmanns Untersuchung der Verknüpfung von Liebe und Tod in drei ausgewählten Werken Richard Beer-Hofmanns und Arthur Schnitzlers besagt nämlich im Anschluss an ein feministisches Theorem, dem zufolge Blick männlich konnotiert ist, dass es ebendieser männliche Blick ist, der "das Weibliche als das Andere" in ein "starres Bild" bannt und so dessen "Verfügbarkeit" garantiert. Diesen "Prozess der Fixierung" bezeichnet Surmann als "Mortifikation".

Nach etwas überfrachtet wirkenden Ausführungen zu ihren theoretischen Positionen weist die Autorin nach, dass die differenten kulturellen Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit in den drei von ihr untersuchten Erzählungen (Richard Beer-Hofmanns "Der Tod Georgs" sowie "Sterben" und "Der letzte Brief eines Literaten" von Arthur Schnitzler) auch in den zentralen, geschlechtsspezifisch ausgeführten "Sterbeinszenierungen" dargestellt werden. Die drei Texte sieht sie dadurch verknüpft, "daß jeweils eine Todesnachricht die Figuren mit der Tatsache der Negation des Ich" konfrontiert.

Surmanns Untersuchung des Zusammenspiels von Liebe und Tod fällt überzeugend aus: In "Der Tod Georgs" stellt Beer-Hofmann den Fetischcharakter dar, den der "zum ästhetischen Bild mortifizierte sterbliche Körper" der namenlosen von Paul erträumten Frau für den Protagonisten hat. Zwar kritisiert Beer-Hofmann die "Mortifizierung des Weiblichen als passives Idealbild", jedoch wird diese Kritik über einen sterbenden weiblichen Körper vorgetragen, der "zukunftslos ausgelöscht" wird. Ein "selbstbestimmtes Eigenleben" oder auch nur eine "Wahlmöglichkeit" für die Frau wird vom Autor hingegen nicht in Betracht gezogen. Das von Beer-Hofmann "entworfene Bild" sei daher zwar kritisch, aber pessimistisch. Ähnlich fällt das Urteil über die beiden untersuchten Erzählungen Schnitzlers aus, von denen "Der letzte Brief eines Literaten" - anders als Beer-Hofmanns bekanntester und vielleicht auch meistinterpretierter Text - zwar "in der Forschung" bisher nicht "völlig unbeachtet geblieben" ist, tatsächlich aber nur sehr geringe Beachtung gefunden hat. Zu den wenigen, die sich bislang mit der Erzählung befasst haben, gehören etwa G. J. Weinberger, der ihr 1996 in den "Michigan Germanistic Studies" einen Aufsatz widmete, und Maya D. Reid, die sie bereits 1972 in der Zeitschrift "German Quaterly" zusammen mit Schnitzlers "Andreas Thameyers letzter Brief" beleuchtete. Schnitzlers Erzählung "Sterben" wurde zwar von der Forschung ungleich häufiger untersucht, allerdings ohne dass eine "eingehende Untersuchung des Geschlechterverhältnisses in Konfrontation mit dem Tod" vorgelegt worden ist. Die von der Forschung verschiedentlich vorgenommene Interpretation Maries als Vertreterin des Typus "süßes Mädel" kann Surmann zufolge nicht aufrechterhalten werden, wächst sie doch angesichts des nahenden Todes von Felix über diese "oberflächliche Lebenslust und Naivität" verkörpernde Gestalt hinaus. Ebenso verfehlt ist jedoch auch die in der Forschung verbreitete Auffassung, Marie mache einen emanzipatorische Entwicklung durch. Vielmehr verlagert sich ihre Orientierung nur "von einer männlichen Autorität auf die nächste", wie die Autorin mühelos aufweist. War es zuvor Felix, dessen Anweisungen Marie folgsam nachkommt, so befolgt sie später diejenigen von Alfred, Felix' Arzt.

Eine Parallele zwischen "Sterben" und "Der Tod Georgs" sieht Surmann darin, dass die jeweiligen Innenperspektiven der männlichen Figuren "das nach außen verhüllte Angewiesensein auf das 'Andere'" offenbaren. Zieht sich die namenlose Sterbende in "Der Tod Georgs" auf sich selbst zurück und wendet sich von der Welt ab, so will Felix in "Sterben" die "absolute Verlorenheit" und die "Auflösung seiner Autonomie" überwinden, indem er versucht, Marie "dieselbe ihm bevorstehende 'Leichenstarre'" aufzuzwingen, womit der Autorin zufolge vorgeführt wird, dass die "patriarchale, symbolische Ordnung" auf "dem verfügbar gehaltenen 'Anderen' als spiegelbildliche[r] Selbstversicherung" basiert.

Ebenso wie die Marie in "Sterben" ist auch die gleichnamige Figur in der Erzählung "Der letzte Brief eines Literaten" ein "wertvolles Medium zur Selbstvollendung" des männlichen Protagonisten, die von diesem im Suizid anvisiert wird. Allen drei Frauenfiguren ist gemein, dass ihre "'unbeschriebene' Körperlichkeit" den männlichen Figuren als "Projektionsfläche und Kristallisationspunkt von Phantasien und Begehren", kurz deren "projektiv verklärende[m] mortifizierende[m] Blick" dient. Hiermit sind die weiblichen Figuren "auf den Status von Blickobjekten reduziert", ohne in ihrer Individualität in Erscheinung treten zu können.

Resümierend stellt Surmann fest, dass die explizite Todesdrohung in den "(Liebes-)Beziehungen" zwischen den nur vermeintlich idealtypisch konstruierten Figuren Entwicklungen hervorruft, die "signifikante geschlechtsspezifische Unterschied[e]" aufweisen. In allen Erzählungen dienen die weiblichen Figuren der Stabilisierung der männlichen Protagonisten, ihre jeweilige "elementare Mangelsituation des Selbst" zu bewältigen. Die untersuchten Texte, so Surmanns Fazit, machen in kritischer Absicht deutlich, dass die über die "Struktur der patriarchalen Ordnung" konstruierten und diese zugleich prägenden "geschlechtlichen Differenzen" für die Aufrechterhaltung der patriarchalischen Ordnung unabdingbar sind, da die männliche Inbesitznahme von Welt über das Opfer des weiblichen Körpers funktioniert. "Weibliche Autonomie" bleibt hingegen sowohl bei Beer-Hofmann als auch bei Schnitzler "undenkbar".

Titelbild

Elke Surmann: Ein dichtes Gitter dunkler Herzen. Tod und Liebe bei Richard Beer-Hofmann und Arthur Schnitzler - Untersuchung zur Geschlechterdifferenz und der Mortifikation der 'Anderen'.
Igel Verlag, Oldenburg 2002.
116 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 389621148X

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