Blauer Faden und roter Most

Else Lasker-Schülers wieder aufgelegte "Theben-Gedichte und Bilder"

Von Antje PolanzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Antje Polanz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mitte Mai 1937 begann es bei mir Karten und Briefe (jeder ein Kunstwerk an Wort und Bild und ein Irrgarten der Schrift) zu regnen. Else Lasker-Schüler, ... oder ... lieber ... ,Jussuf, der Prinz von Theben' ... rüstete zur Fahrt ins Bibelland", schreibt Shalom Ben Chorin in seinen Erinnerungen an die deutsche Dichterin jüdischer Herkunft. Er hätte mit diesen Notizen auch das wundervolle, jetzt im Jüdischen Verlag als Reproduktion erschienene Theben-Buch gemeint haben können, jenes wohl "ureigenste Kind" der Lasker, das erstmals 1923 in einer winzigen Auflage von gerade einmal 250 Exemplaren in die Welt gegangen war.

Nun ist Ricarda Dick, die Herausgeberin dieses wieder aufgelegten lyrischen Bilderbuchs, auf die sehr schöne Idee gekommen, allen Interessenten die Möglichkeit zu schaffen, in den Genuss dieser außerordentlichen Hinterlassenschaft einer in jeder Hinsicht unvergleichlichen Dichterin zu kommen, zumal zu einem passablen Preis. Wer es sich leisten kann, der kann gar auch noch in den Besitz der dafür leider umso teurer geratenen Vorzugsausgabe in exklusivem Seidenumschlag gelangen, wie sie die Dichterin für einige wenige ausgesuchte Freunde einst bereithielt. Doch getrost: Im materiell noch hochwertigeren Einband erschöpft sich auch schon der Unterschied zu der jetzt wieder erhältlichen "normalen Ausgabe", denn man hat sich für ihre Wiederauflage zu dem sinnvollen und überaus dankenswerten Kompromiss entschlossen, die Kolorationen der Zeichnungen, von Else Lasker-Schüler eigenhändig in die 50 Exemplare der Vorzugsausgabe aufgebracht, in die ursprünglich nicht kolorierte "Volksausgabe" mit aufzunehmen.

Dabei erweist sich die Wahl und Komposition der Farben für den Einband - Else Lasker-Schüler entschied sich für die Normalausgabe für ein prächtiges dunkles Blau - mit der auf der Vorderseite nun in leuchtenden Rottönen gehaltenen Zeichnung "Der Bund der wilden Juden" in seiner Mitte als bereits programmatisch für das, was an Worten und Bildern im Inneren noch geschieht: Der einmal angeschlagene blaue Ton nämlich weicht einem nicht mehr von der Seite, als sprichwörtlich "blauer Faden" wird er zum Wegweiser in Thebenland. Ja, mehr noch: Wo selbst Hecken und Klaviere im Wortteil blau sind, da entpuppt sich diese Farbe als das tragende Element schlechthin, auf ihr ruht, beruht und durch sie begründet sich überhaupt Jussufs Reich. Denn, so erklärt sich spätestens im Gedicht "Gott hör": das Blaue, das ist die Träumerfarbe, als Gottes Lieblingsfarbe und "Lied von deines Himmels Dach" verliert man mit ihr gerne mal und immer wieder den Boden unter den Füßen, und das nicht nur in Theben. Mit Künstlerfreunden wie Gottfried Benn und Franz Marc, die ähnlich "blau" dachten wie die Dichterin und als "Ruben" und "Gieselheer" feste Mitglieder im Theben-Clan waren, erfand Else Lasker-Schüler an der Grenze zwischen Alltag und dem von ihr fantasierten Rückzugsraum bekanntermaßen sogar eine Art eigener blauer Sprache. Doch auch Theben, so deutet es ja bereits der Buchdeckel an, lebt nicht vom Blau allein. Da hinein fließt, wenn auch niemals mit der Dominanz des Blau so doch beharrlich, Rotes, da blutet und läuft, so scheint es, beständig etwas aus. Gerinnend, färbend, durchtränkend und gärend, begegnet es einem in fast jedem der Theben-Gedichte. Das Rote erweist sich als das zumeist Schmerzbehaftete, ist zäh und bitter, liegt schwer im Magen. Und man versteht, wenn man weiß, dass Else Lasker-Schüler, deren besondere Tragik es war, dass das Palästina ihrer Träume dem realen nicht standhalten konnte, zu allen Zeiten, in allen Träumen als Jüdin unter Nicht-Juden aber eben auch als Jüdin unter Juden, das Gefühl von Fremdheit und Exil niemals vollständig abgelegt hat. Wie ein rotes Lebensfazit liest sich da das Gedicht "Mein Volk": "Hab mich so abgeströmt / Von meines Blutes / Mostvergorenheit."

So erscheinen auch die Figuren in ihren Theben-Zeichnungen von eigentümlich berührender Bewegtheit, beständig von einer Art freundlicher Unruhe getrieben, nur kurz haltend im Weiterwandern. In fast jeder der Gestalten lässt sich der viel beschworene Zugvogel aus dem Textteil entdecken. Was Else Lasker-Schüler schreibt, fordert das dazugehörige Bild heraus, die Zeichnung ruft nach ihrem Gedicht. Das Verschriftlichte im Theben-Buch beinhaltet die eigene Handschrift der Dichterin, in dem sie die Theben-Gedichte und die Untertitel für ihre Zeichnungen gefasst hat. Das ist das dritte Kunstmittel in einem Gesamtkunstwerk, dass - "buntgeknüpft" wie ein "alter Tibetteppich" nun einmal ist - natürlich auch mit dem Gelben, dem Grünen und vielen weiteren "verliebten Farben" hantiert.

Ricarda Dick, deren detailreiches Nachwort eine hervorragende Ergänzung zu diesem Buch bildet, beschäftigte sich bereits als Kuratorin der vor zwei Jahren im August-Macke-Haus in Bonn gezeigten Ausstellung "Else Lasker-Schüler: Schrift:Bild:Schrift" eingehend mit Lasker-Schülers "Verständnis von Kunst als umfassender Ausdrucksform, die vermeintliche Gattungsgrenzen ebenso überschreitet und negiert wie die Grenze zur außerkünstlerischen Wirklichkeit", wie es im Katalog zur Ausstellung heißt.

Titelbild

Else Lasker-Schüler: Theben. Gedichte und Bilder.
Herausgegeben von Ricarda Dick.
Jüdischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
64 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3633541772

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