Summ, summ, summ - Bibel Recovered?

Das "Lied der Lieder" sprachlich eingefangen von Anna Thalbach

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass "das Vergnügen des Hörens verlagert [wird] auf die flüchtige und eitle Lust des Auges", wie Horaz in seinem Brief an Augustus schreibt, macht deutlich, in welchem Maße sich unser Verhältnis zum gesprochenen Wort, zur Lippenlektüre, gewandelt hat. Und Plinius der Jüngere nennt drei Gründe, um die Vorzüge der öffentlichen, lauten Lektüre anzupreisen: zum Ruhme des Autors, aber auch zu dessen Kritikfähigkeit und zum Erwecken der Kauflust am gedruckten Text, kurz, das öffentliche Lesen war eine, salopp formuliert, "interaktive Veröffentlichungsstrategie".

Was nun aber, wenn - wie im Falle der Bibel - der "Autor" entweder Gott oder eine Vielzahl von Chronisten ist? Das hält vom öffentlichen Vortrag keineswegs ab: Deutschland lässt wieder lesen. Wo früher in kleinen Buchhandlungen unbequeme Stühle zwischen den Regalen zurechtgerückt wurden, präsentiert sich Literatur heute als Teil der Eventkultur. In Kneipen, Discos und Fabrikhallen tragen nicht länger nur sensible Strickjackenträger ihre neueste Création konkreter Poesie vor; vielmehr sind sie von Profis - häufig Schauspielern nebst angehängtem DJ - abgelöst worden.

So präsentiert nun die 27-jährige Schauspielerin Anna Thalbach - wie selbstverständlich begleitet von DJ Michael Mayer - das Hohelied Salomos, bildungsbürgerlich latinisiert als "Canticum Canticorum". Der Aufnahme gingen zahlreiche Live-Auftritte voraus, die in der deutschen Medienlandschaft und beim Publikum ein begeistertes Echo fanden.

Nun ist aber kürzlich eine vollständige Hörbuch-Edition des "Alten Testaments" erschienen, in der Imogen Kogge und Gerd Wameling sich die Rolle des Vorlesers teilen, ganz ohne Musik und Event. Sie setzen ganz auf die dialogische Struktur des Hoheliedes Salomos, also auf den Gestus von Frage und Antwort zwischen den Geschlechtern. Ganz ähnlich ist die Vorgehensweise von Nadja Schulz und Roland Schäfer - ergänzt durch den Kantor Michael Jedwabny, der das Shir hashirim auf hebräisch psalmodiert und dadurch die differenzierungsarme Kargheit der deutschsprachigen Version um so schmerzlicher hervorhebt. Ihre Produktion erschien bereits 1999.

Der Anspruch auf dialogische Eindringlichkeit ist bei Thalbach der Selbstverliebtheit gewichen. Sie dreht sich in der Selbstansprache um sich selbst, wie auch die Chill-out-Musik fades Hintergrundrauschen bleibt und sich monoton wiederholt. Freilich, wer heute Publikumslesungen organisiert, muss andere Bedingungen erfüllen als bisher - der Zuhörer will allumfassend unterhalten sein. Aber welchen anderen Zweck dann diese CD haben soll als ein tönendes Andenken für all jene bereitzustellen, die bei einer Live-Performance von Thalbach und Mayer dabei waren, bleibt rätselhaft. Die Aufnahme ist nicht CD-spezifisch; dafür ist die Aufnahmequalität zu schlecht. Knackser und ein diffuser Klangraum stören die Audition, und die Chance, hermetisch, fernab von einem Publikum, eine konzentrierte Sprachleistung zu vollbringen, bleibt ungenutzt.

Bleibt noch die Frage, warum die Scheibe in der deutschen Literaturkritik auf einen solch positiven Wiederhall stoßen konnte. Da ist natürlich die Lichtgestalt Anna Thalbach, deren Präsenz man sich in der Live-Performance nicht entziehen kann. Aber, wie oben bereits angedeutet, diese CD sollte - nach der unmaßgeblichen Meinung des Rezensenten - ja mehr Wert haben als ein klingendes Souvenir. Vielmehr scheint sich in den zahlreichen Besprechungen, die fast durchgehend zweideutige Titel tragen, der Wunsch der Rezensenten nach etwas "Handfestem", nach "gutem, alten Sex" auszudrücken. Aber: Zum einen geht es im Lied der Lieder nicht vorwiegend um Sex, sondern um Liebe (ein Unterschied, den die heutige Clubkultur gerne übersieht), zum anderen wirken die Vergleiche mit der Tier- und Pflanzenwelt heute antiquiert, wenn nicht gar - wie in der Luther-Übersetzung - peinlich, frei nach dem Motto: Bienchen sticht Bienchen. Viel Gesumm um nichts also.

Um dann noch einmal Plinius d. J. ins Feld zu führen: Das öffentliche Lesen ist nach seinem Bekunden ein Akt, der mit dem ganzen Körper zu erfolgen hat. Dabei kommt dem Vorleser (in unserem Falle: der Vorleserin) Macht zu: Er formuliert eine verbindliche Lesart, der sich die Zuhörer unterwerfen müssen. Diese Macht nutzt Anna Thalbach aber nicht. Und das ist schade. Etwas mehr Dogmatismus, bitte!

Titelbild

Das Hohelied Salomos. Gesprochen von Anna Thalbach.
Verlag Audiobuch, Freiberg 2001.
ca. 50 Min., 14,80 EUR.
ISBN-10: 3933199352

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