Sonst Bankbeamter
Leo Domzalskis Hörbuch versammelt alles Wissenswerte über "Hundert Jahre Buddenbrooks"
Von Ralf Hertel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSie klingt nicht wie die Stimme eines Nobelpreisträgers und Schriftstellers, welcher während des Zweiten Weltkrieges im Exil zum quasi überlebensgroßen Repräsentanten eines anderen, kultivierten, guten Deutschlands wurde. Sie ist weniger sonor als man sie sich vorgestellt hat, ein wenig zu hoch, um gesetzte Würde auszustrahlen, hell und dünn. Sie spricht in verschachtelten Sätzen, immer wieder innehaltend, liest jedes Komma und Semikolon, als wären es Hinweise auf Tempowechsel in einer Partitur, und setzt einzelne Nebensätze voneinander ab wie musikalische Motive. Diese dünne, manierierte Stimme scheint so gar nicht mit dem Respekt einflößenden und Autorität verströmenden Thomas Mann zusammenzugehen, wie er uns in Fotografien der Zeit entgegentritt.
Und doch, diese Stimme, die zunächst so gespreizt wirkt, entfaltet schon bald ihre eigene Dynamik. Sie ist noch 1932, bei den Aufnahmen von "Lübeck als geistige Lebensform", ja selbst noch dreizehn Jahre später bei der Rede anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft dieser Stadt, hinter der Fassade hypotaktischer Syntax die Stimme eines Jungen: frech, respektlos und spielerisch. Und sie verrät einiges über den Schalk im Schriftsteller, welcher ihm nicht allein zu seiner in jedem universitären Seminar analysierte Ironie verhalf, sondern der von jener zuversichtlichen Sorglosigkeit zeugt, ohne die er wohl kaum der bekannteste deutsche Schriftsteller seiner Zeit geworden wäre.
Der Roman "Die Buddenbrooks" muss diese Sorglosigkeit auf eine schwere Probe gestellt haben, wie die von Leo Domzalski herausgegebene Hör-CD "Hundert Jahre Buddenbrooks" verdeutlicht. Es ist Thomas Manns erster Roman, bis dato ist von ihm ein Novellenband beim renommierten Verleger Samuel Fischer erschienen. Dieser schreibt ihm aufmunternd, er sei gerne bereit, auch einen längeren zusammenhängenden Text zu veröffentlichen. Allerdings rechnet er nicht damit, wie lang dieser erste Roman Manns dann tatsächlich wird: gut 1.000 Druckseiten. Fischer ist entsetzt, schreibt davon, dass ein Roman von solchem Umfang praktisch nicht zu verkaufen sei und bittet, den Text auf die Hälfte zu kürzen. Nun ist es an Mann entsetzt zu sein: Was bliebe noch von seinem Roman, wenn er tatsächlich die Hälfte streichen sollte? Er schreibt an Fischer, dass er Abstriche am Honorar hinnehmen könne, doch den Roman zu kürzen sei ihm unmöglich. Die Antwort des Verlegers bleibt aus, und Mann fragt sich, ob es tatsächlich eine gute Idee war, auf der ursprünglichen Länge zu beharren. Hier schon, beim zweiten Versuch, hätte seine literarische Karriere ein Ende finden können: 1900 ist er ein mehr oder minder unbekannter junger Autor, der außer ein paar Novellen noch nichts veröffentlicht hat und gerade im Begriff ist, auf seinem in jahrelanger, mühevoller Arbeit geschriebenem ersten Roman sitzen zu bleiben und es sich überdies mit dem einflussreichen Verleger Fischer zu verscherzen. In Briefen an den Bruder Heinrich, die sich auch auf der CD finden, spricht er offen von "Selbstabschaffungsplänen" und, nachdem er seine Ironie wieder gefunden hat, davon, Bankbeamter zu werden, falls es mit der Schriftstellerei nichts werden sollte. Es sind diese entscheidenden Momente in der jungen Karriere Manns, die das Hörbuch am nachdrücklichsten vermittelt. Aus den Briefen zwischen dem Autor und dem Verleger, zwischen Thomas und Heinrich, dem zunächst eher ablehnenden Urteil des Lektors und den von Mann im Abstand von fast dreißig Jahren rückblickend selbst erzählten Anekdoten entwickelt sich eine eigene Dynamik, ein Drama in Briefen, welches den Hörer in seinen Bann zieht.
"Hundert Jahre Buddenbrooks" versammelt auf zwei CDs eine Vielzahl von Quellen und Textstellen aus dem Roman. Einzelne Passagen werden jenen Stellen aus Briefen der Geschwister gegenübergestellt, welche die Vorlagen für die Zeichnung mancher Charaktere liefern. Die Familienchronik, welche ebenfalls als Vorlage diente, wird zitiert, natürlichdie Briefwechsel mit Fischer und Heinrich, und auch frühe Rezensionen wie etwa jene von Rainer Maria Rilke fehlen nicht. Keine Frage, Domzalski hat die wichtigsten Dokumente zusammengetragen - schade nur, dass die einzelnen Dokumente recht bieder aneinandergereiht sind. Szenische Lesungen mit verteilten Rollen, welche die Lebendigkeit von Manns Dialogkunst vermitteln könnten, vermisst man ganz. Selbst die an sich dramatische Korrespondenz zwischen Mann und Fischer hätte für den Hörer noch an Anschaulichkeit gewinnen können, hätte der Herausgeber sich dazu durchgerungen, sie in der Form des Hörspiels darzustellen - hier bleiben Möglichkeiten des Mediums Hörbuch ungenutzt. Doch dann, und dies entschädigt, ist da immer wieder die Stimme von Thomas Mann selbst, eine Stimme, die dem Hörer in ihrer kindlichen Insistenz nicht mehr aus dem Kopf gehen will und ihn zwingt, die "Buddenbrooks" beim nächsten Mal ganz anders zu lesen oder zu hören.