Lautsprecher und Scheinwerferin

Leni Riefenstahl zum 100. Geburtstag

Von Gustav FrankRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gustav Frank

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Diesmal hat die alte Dame zu erwartenden Enttäuschungen selbst vorgebaut. Zum 100. am 22. August schenkt sich Leni Riefenstahl ihre erste Filmpremiere seit 48 Jahren. "Impressionen unter Wasser" heißt der Film, in dem die Regisseurin die Ergebnisse ihrer wohl letzten Berufung vorlegen will, des Fotografierens und Filmens unter Wasser. Schon vorab sendet ARTE, das schon eine mehrteilige Riefenstahl-Video-Edition vertreibt. Auch andere Öffentlich-Rechtliche wie ZDF und Phoenix warten mit Sendungen auf, so etwa mit (neuen) Interviews. Schon am 26. Juli konnte man lesen, dass Jodie Foster nun doch den lang gehegten Plan einer Verfilmung von Riefenstahls Memoiren in Babelsberg realisieren will.

Doch alle Bemühungen der alten Dame, ein neues Leben zu beginnen, werden immer wieder verknüpft mit dem Höhepunkt ihrer Karriere. Riefenstahl hat sich in den 30er Jahren mit zwei Regiearbeiten in die Annalen der Filmgeschichte eingeschrieben. Das unvergängliche Skandalon daran: es waren Arbeiten für die nationalsozialistische Bewegung und den NS-Staat. In "Triumph des Willens", als Dokumentation des Nürnberger Parteitags 1934 der NSDAP begonnen, und den beiden Filmen von der Olympiade 1936, "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit", sorgen Kameraarbeit und Schnitt, Bildkomposition und Musik dafür, dass Hitlerkult und Führerprinzip, "Volksgemeinschaft" und nazistische Ideologeme wie Rasse, Gesundheit, Willen und Opferbereitschaft effektiv propagiert werden.

Von den Nazis wiederum als Kulturereignis inszeniert und lehrfilmhaft benutzt, von Riefenstahl nach dem Krieg als ihr Eigentum ökonomisch und als ihre filmischen Meisterstücke zur Selbstdarstellung ausgewertet, stehen diese Filme mit allem, was ihnen von dieser Regisseurin nachfolgte, unausgesetzt in der Kritik. Wo die einen mit Riefenstahl diese Filme als Kunstwerke von ihrer vermeintlichen Funktionalisierung im NS-Staat entlasten wollen, sehen die anderen mit Riefenstahls beständigen Wiederholungen einer als faschistisch eingeschätzten Ästhetisierung einiger weniger Wirklichkeitsbereiche auch die vergangenen Zustände wieder heraufdämmern. Wo den einen der geschichtliche Zusammenhang, in dem sie stand, also nichts ist, will er den anderen nicht vergehen, sondern ist in der Erinnerung auf Dauer zu stellen. Riefenstahls Aktualität ist die eines Prüfsteins für die jeweilige Verfassung vor allem der deutschen Memoria, der Gedächtnis- und Gedenkkultur.

Darum also immer wieder "LR". Neben der ,Jubiläumsindustrie', die auch umstrittene ,Größen' wie sie vermarktet, gibt es dieses berechtigte Interesse an der alten Dame und ihrer bis in die Gegenwart repräsentativen Biographie, die einem Jahrhundert Deutschland immer wieder den Spiegel vorhält. Mehr noch steht Riefenstahl jetzt als die letzte der Alten des NS-Regimes als eratischer Block des Erinnerns in der Zeit, an dem sich der kollektive, demographisch bedingte Prozess der Vergeschichtlichung bricht: immer weniger verfügen über eigenes Erleben - oder zumindest Anschauung der Folgen - des "Dritten Reichs"; immer größer wird die Gruppe, deren Bild von Geschichtsrekonstruktionen geformt ist. Gegenüber dem Stand der Historiographie aber, deutlicher, präziser, umfassender als jede Einzelerinnerung, irritiert Riefenstahls selektives Gedächtnis, besonders wo es selektives Wahrhabenwollen eigener Taten und Teilhabe ist. Ebenso verstört ihr Bemühen um eine zusammenhängende und stimmige Lebensgeschichte, das angesichts des "Zivilisationsbruchs" (Dan Diner), den sie doch miterlebt haben muss, so fragwürdig wird. Auch hier ist sie der Prüfstein: welche Folgen, Implikationen hat die Zurichtung des kollektiven Erinnerns, betrachtet im Lichte des einen konkreten Falls Riefenstahl?

An dem alles entscheidenden Punkt macht sich auch der jüngste biographische Versuch des Historikers Lutz Kinkel fest. "Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das Dritte Reich" ist im Kern eine historische Darstellung, die alle bekannten und einige neuen Quellen versammelt, sichtet und auswertet. Um Sachlichkeit auch im Ton bemüht, wie schon Rainer Rothers vorbildliche Biographie vom vorletzten Jahr, zeigt sich Kinkels Buch, das auf die alte Streitsache Riefenstahl und Nationalsozialismus konzentriert ist, ohne Vor- und Nachgeschichte zu unterschlagen. Doch auch Kinkel, Jahrgang 1966, bei dem der Kampf um das Erinnern Beteiligter in Geschichtsschreibung übergegangen ist, dokumentiert Riefenstahls befremdlichen Status. Ist das Buch, beginnend mit dem Schutzumschlag, von der Notwendigkeit geprägt, den vielen umlaufenden Riefenstahl-Fotos mit den ,Großen' wie Hitler oder Marlene Dietrich durch ihre Lektüre im historischen Kontext erst ihre Bedeutung zu geben, so wagt er es andererseits schon früh sich in diese Ikonographie einzureihen: "der Autor im Gespräch mit der Portraitierten". Der Übergang von der Musealisierung zu Internetseiten mit Homestory-Charakter wird damit jedoch fließend (man vergleiche etwa: Patrick Zarate with Leni Riefenstahl at her home Dec 2001 http://www.dasblauelicht.net/das_blaue_licht2.htm:).

Was zeichnet den Band aus, wenn man ihn an Rothers maßgeblicher "Verführung des Talents" misst? Im historischen Teil erhärtet und präzisiert Kinkel mit im einzelnen beachtlichen Quellenfunden (Telegrammwechsel mit Mussolini aus römischen Archiven etwa), was andere auf etwas schmalerer Grundlage schon gesehen haben: Riefenstahls engste Verbindung mit Hitler, aber auch dem Nationalsozialismus und dem "Dritten Reich", dem sie solange zugearbeitet hatte bis sie zu einer seiner Prominenten wurde. Das Urteil über Riefenstahls Verstrickung in die Verbrechen, das schon früh zutreffend gefällt und in der seriösen Literatur nicht bezweifelt wurde, deckt sich auch mit Kinkels Ergebnissen. Erwin Leiser hat es bereits 1987, reagierend auf Riefenstahls Memoiren, resümiert: "Leni Riefenstahl ist keine Kriegsverbrecherin im eigentlichen Sinn des Wortes, an ihren Händen klebt kein Blut". Bedingt durch das konzentrierte Interesse am "Dritten Reich" fallen die Passagen zur Nachkriegszeit schwächer aus.

Zu den unstreitigen Vorzügen des Buches gehört, dass der Historiker oft klarer als die Film- und Kulturwissenschaftler sieht und urteilt, die sich zu Riefenstahl geäußert haben: Riefenstahl hatte sowohl als Tänzerin wie dann als Filmactrice wenig Karrierechancen. Als der Tonfilm kam, fehlte ihr die Stimme. Die stimmlichen Qualitäten bemerkt sie allerdings laut ihren Memoiren, zitiert Kinkel, sofort an Marlene Dietrich; und da hätte man doch gerne genauer gezeigt bekommen, was es etwa mit dem Verhältnis "Blauer Engel" und "Blaues Licht", als (Ton-)Filme betrachtet, auf sich haben könnte. Doch wenn es um die Filmarbeit Riefenstahls geht, beschreitet Kinkel kein Neuland, sondern zitiert und kompiliert die Standardliteratur.

Freilich ist der Historiker mehr an den Filmen als Dokument denn als ästhethischen oder filmgeschichtlichen Monumenten interessiert und sieht sie allein im politischen Zusammenhang. Riefenstahls Arbeit an "Triumph des Willens" erscheint dann deutlich bestimmt von Hitlers Aktion gegen Röhm, die SA und das frühe NS-Image chaosträchtiger Schlägertrupps: Ordnung, Aufbruch, Erlösung heißen die Botschaften. Walter Ruttmann, neusachlicher Avantgardist der 20er Jahre, bei dem Riefenstahl sich wohl schon die Schnitttechnik abgeschaut hatte, bevor sie ihn für einen Prolog des Films gewinnen konnte, der die Geschichte der "Bewegung" entsprechend rasant aus dokumentarischem Material geschnitten darstellen sollte, wird aufgrund dieses Primats des Politischen wieder geschasst: nach den Morden an den "Kämpfern der ersten Stunde" war eine Retrospektive unerwünscht. Kinkel, der Riefenstahl mit Recht als sehr erfolgreiche Netzwerkerin zeigt, deren Vorbilder und Zuarbeiter er nachweist, statt ihrer Berufung auf Inspirationen und Visionen zu trauen, hätte für diese Frühzeit schon Beeinflussung durch und Mitarbeit am Hitler-Mythos nachweisen können; denn die Filmidee scheint von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann entlehnt, der 1933 "Der Triumph des Willens. Kampf und Aufstieg Adolf Hitlers und seiner Bewegung. Mit einem Geleitwort von Baldur von Schirach" veröffentlichte. Diese Orientierung an Hitler blieb bis zum letzten Spielfilm Riefenstahls prägend. Wenn verschiedene Kritikerstimmen im "Tiefland"-Projekt, das Riefenstahl seit 1934 im Kopf hat, ein Werk der Distanzierung vom Regime, der Inneren Emigration, ja den Aufruf zum Tyrannenmord sehen, dann hätte man vom Historiker gern den Nachweis gelesen, dass d'Alberts "Tiefland" schon in seiner Wiener Zeit zu Hitlers Lieblingsopern gehört hatte, deren Wiederaufführung er noch in den 30ern förderte. Deshalb übernahm er bei diesem Film direkt die Finanzierung. Es handelte sich wohl um ein Lieblingsprojekt, in das noch in Kriegszeiten große Mengen an Devisen floßen.

Auch zu den Olympia-Filmen hätte man genauere Nachweise der Verflechtung der Bilderwelten und Symbole des "Dritten Reichs" und Riefenstahls, etwa gestützt auf Daniel Wildmanns "Begehrte Körper" (1998), erwarten können - denn auch das waren wirkmächtige historische Allianzen. Die Olympischen Spiele von 1936 als Ensemble von ineinandergreifenden Propagandaimpulsen aus Architektur, Masseninszenierung, Sport, Populärkultur und Medien ist natürlich das historisch aufschlussreichste Exempel für Riefenstahls Arbeitsweise und Wirkung. Durch sie gelingt es dem Nationalsozialismus, neben der Herrschaft über die Lautsprecher erstmals einen gravierenden Beitrag zur visuellen Kultur zu präsentieren.

Aufgrund der in der Sache verlässlichen und im Urteil sicheren Darstellung provoziert Kinkels Buch wenig Einwände. Zu nennen ist zunächst der leichte Bruch, der durch die chronologische Umstellung zustande kommt, die Kinkel aufgrund seines Titels vornimmt. Indem er Riefenstahls Lebensgeschichte vor ihrer Film- und NS-Karriere am Ende anläßlich der Memoiren nachliefert, zwingt er sich zu Vorausdeutungen. Auch eine seiner Hauptthesen zur Erklärung des Phänomens Riefenstahl, ihre "phallisch-narzißtischen Visionen", werden dem Leser erst am Schluss verständlich, wenn Kinkel, gestützt auf Margarete Mitscherlich, aus der Vater-Tochter-Beziehung psychoanalytisch Riefenstahls Karriere herleitet. Dabei bleibt fraglich, ob die Historie zu Recht der Psychoanalyse die Letztdeutung überlässt und was damit gewonnen ist, Hinweise auf ein mögliches weibliches Kollektivschicksal in einer bestimmten historischen Konstellation zu geben. Insgesamt hätte man sich bei häufiger herangezogenen Quellen, insbesondere aus der Memoirenliteratur (Ertl, Fanck, Trenker etc.), eine Einschätzung des jeweiligen Qullenwertes gewünscht, nachgerade der Autor deren ,lockerem' Tonfall gelegentlich nacheifert. Und schließlich entgeht Kinkel, dass "Das Schicksal derer von Habsburg" (1928), der einzige Film, den Riefenstahl nicht mit dem Bergfilmer Arnold Fanck gemacht hat, 1999 in italienischen Archiven aufgefunden wurde. Von italienischen Restauratoren unter dem Kuratorium des Filmarchivs Austria in Wien bearbeitet, sind die Fragmente derzeit auf Festitvals zu sehen und ein Teil davon ist auch im Internet verfügbar (http://www.kwcinema.kataweb.it/templates/kwc_template_3col/0,5271,2121-2,00.html). Wie das Buch sind diese Fragmente ein angemessen desillusionierender Beitrag zum Centenarium der Leni Riefenstahl.

Titelbild

Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das "Dritte Reich".
Europa Verlag, Hamburg 2001.
380 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-10: 3203841096

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