Auf Liebe und Tod

Bodo Kirchhoffs Genre-Parodie "Schundroman" erzählt von viel mehr als nur von einem weiteren Kritikermord

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis zwischen Autoren und Kritikern ist seit jeher heikel. Wie kann ein Schriftsteller sich wehren, wenn er sich von der Literaturkritik ungerecht behandelt fühlt? Eine berühmte Reaktion auf die Urteilssprüche der Kritiker ist etwa Goethes grobes Diktum "Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent", und Arno Schmidt dekretierte abfällig, dass diese "Profession" der Literatur nur schade. Nun haben gleich zwei arrivierte Schriftsteller unabhängig voneinander entschieden, sich mit einem literarischen Kritikermord für erlittene Kränkungen zu revanchieren, genauer gesagt: sich an Marcel Reich-Ranicki zu rächen.

Zunächst erschien mit Martin Walsers "Tod eines Kritikers" eine Satire auf den Literaturbetrieb, in deren Zentrum die mutmaßliche Ermordung eines fiktionalen Reich-Ranicki-Wiedergängers stand. Als dieser Roman die vorauszusehende heftige Feuilleton-Debatte auslöste, entschied sich die Frankfurter Verlagsanstalt, die Gunst der Stunde zu nutzen und das thematisch verwandte Buch ihres Autors Bodo Kirchhoff nicht wie geplant erst im darauf folgenden Herbst, sondern sofort zu veröffentlichen. Und wenn auch Walser erwartungsgemäß den deutlich größeren ökonomischen Erfolg verzeichnen konnte, so erreichte das bessere der beiden Kritikermord-Bücher immerhin doch auch noch überraschend hohe Verkaufszahlen.

Bevor der Leser allerdings bei dem ersten Satz des Romans von Kirchhoff angelangt ist, muss er zunächst eine ganze Reihe von auffälligen Rezeptionssignalen passieren. Da ist zunächst der Titel des Buches, der dessen vorgebliche Genrezugehörigkeit benennt: ein "Schundroman" soll es also sein, wie auch der den Pulp-Magazinen nachempfundene Schutzumschlag, das reißerische "Ungekürzte Originalfassung!" und das Personenverzeichnis mit Figuren wie der "verdammt schönen" Lou oder einem "einhändigen Exmajor" im Klappentext suggerieren. Da der Verfasser des Textes aber Bodo Kirchhoff ist, derjenige Autor also, der erst im vergangenen Jahr mit "Parlando" seine exquisiten erzählerischen Ambitionen demonstrierte, erwartet uns wohl kaum naive, ungebrochene Trash-Literatur, sondern vielmehr ein ironisch-postmodernes Spiel mit den Regeln des Genres.

Wer nun aber eine blasse akademische Stilübung erwartet, wird von Kirchhoffs "Schundroman" angenehm enttäuscht. Die Krimi-Handlung ist überzeugend konstruiert, mit spürbarer Lust erzählt und weist alle Charakteristika eines echten Reißers auf: Willem Hold fliegt First Class von Manila nach Frankfurt, um dort einen Auftragsmord zu begehen. Zehn Jahre war er nicht mehr in Deutschland, doch nun soll er 'Big Manni' Busche umlegen, den millionenschweren Baulöwen. Es könnte ein so einfacher Job für unseren Helden sein, und auch der Roman wäre wohl etwas langweilig geworden, doch dann bittet ihn seine schöne Sitznachbarin im Flugzeug um einen Gefallen, und alles wird sehr kompliziert. Lou Schultz ist eine Edelprostituierte, die durch den rätselhaften Beischlaf-Tod eines Kunden in den Besitz eines Picasso gelangt ist. Natürlich zweifeln dessen Erben an der offiziellen Version und hetzen daher einen Detektiv auf Lou, der sie am Flughafen abpassen sollen. Kann Hold, fragt die Schöne, den Schnüffler vielleicht ablenken, so dass sie unbemerkt verschwinden kann?

Holds Lösung für das Problem ist clever und fatal zugleich. Ein gezielter Stoß ins Gesicht eines älteren Herren, der an einem Kiosk gerade eitel in sein eigenes Konterfei in einer Zeitung versunken ist, und dieser taumelt dem Detektiv vor die Füße und bricht zusammen. So ist zwar für die nötige allgemeine Verwirrung gesorgt, doch leider schlägt Hold etwas zu stark zu. Das zerschlagene Nasenbein des Opfers dringt "ins Auge oder kopfeinwärts, mit der Folge eines Schocks und des Ausfalls zentraler Funktionen, also vermutlich Herzstillstand". Und zudem ist der Tote auch nicht irgendwer, sondern ausgerechnet Louis Freytag, der renommierteste Literaturkritiker des Landes. Der Mord an der Reich-Ranicki-Figur ist dabei von geschickter Bosheit: Während Walser den Kritikertod schon im Titel seines Buches ausdrücklich zum eigentlichen Thema macht und damit dessen Bedeutung betont, marginalisiert Kirchhoff den Kritiker, indem er ihn zum Opfer eines versehentlichen Totschlags werden lässt - ja, der kaltblütige Auftragsmörder Willem Hold bedauert das Missgeschick sogar.

Dieses Versehen und seine Folgen bilden allerdings nur eine Nebenhandlung, die mit dem Hauptstrang des Plots fortan geschickt verzahnt ist. Die Polizei sucht den Mörder des Literaturpapstes, und auch auf der gerade stattfindenden Frankfurter Buchmesse wird die Täterfrage aufgeregt diskutiert. Eine gelungene Pointe ist hierbei Kirchhoffs Idee, ein Manuskript namens "Tod eines Kritikers" kursieren zu lassen und dessen Verfasser zum Hauptverdächtigen im Mordfall Freytag zu machen. Der "Fünftagekrieg" der Buchmesse bietet Kirchhoff die Möglichkeit zu einer Vielzahl von burlesken Szenen und bissigen Kommentaren zum Literaturbetrieb. Und wie es sich für einen Schlüsselroman gehört, begegnen wir vielen bekannten Gesichtern: Ein Unseld-look-a-like preist den Verstorbenen als "Nathan unserer Tage", ein sogenannter "Speichler" lässt an Hellmuth Karasek denken, Michel Houellebecq tritt als germanisierter Ollenbeck auf, der Autor des großen Skandalbuchs der Saison, ein " berühmter schwäbischer Clown" ist unschwer als Harald Schmidt zu erkennen usw...

Doch all diese Spielereien mit den Prominenten des Literaturbetriebes halten Kirchhoff glücklicherweise nicht davon ab, die Krimi-Handlung zielstrebig auf einen klassischen Showdown zulaufen zu lassen, der sich am Gardasee abspielen wird. Hier begegnen sich schließlich alle Protagonisten, zumindest diejenigen, die noch leben, um alte Rechnungen zu begleichen und neue Lieben zu finden. Erstaunlich ist dabei, wie es Kirchhoff gelingt, die Figuren nah am Klischee und dennoch psychologisch plausibel zu zeichnen. Es sind wohl ihre skurrilen Eigentümlichkeiten, die die Figuren so sympathisch machen, so wie etwa Holds Leidenschaft für wertvolle Uhren oder Lou Schultz' Tätowierung in Form des Gardasees, eine Erinnerung an ihre erste Liebe.

Überhaupt die Liebe: von ihr spricht Kirchhoff mit einem waghalsigen Mut zu Kitsch. So heißt es etwa einmal, dass Hold "auf diese unmögliche Menge an Zärtlichkeit angewiesen [war], damit der Schmerz am Ende übertroffen wurde, eine Menge, die nicht zu bezahlen war, für die man mehr aufbieten musste als Geld: eine Unmenge verdammter Liebe, wenn er es richtig sah". Solche Sätze sind nur in einem "Schundroman" erlaubt, und nur hier funktionieren sie auch. Und am Ende scheint die Krimihandlung fast nur noch ein Vorwand für die Liebesgeschichte zu sein. Dementsprechend formuliert kurz vor Schluss ein weißhaariger und zurückhaltender Schriftsteller, der Bodo Kirchhoff selbst verdächtig ähnlich sieht: "Nur Schwachköpfe wollen auf der letzten Seite erfahren, wer der Mörder ist. Vernünftige Menschen fragen sich, wer wen am Ende lieben könnte."

So ist Bodo Kirchhoff ein kleines literarisches Kunststück gelungen: Der "Schundroman" ist ein Trash-Roman, der zwar alle Versatzstücke der Gattung verwendet, der seine Figuren aber dennoch ernst nimmt. Er ist aber auch eine amüsante Satire auf die Eitelkeiten des Literaturbetriebs, der diesen Betrieb glücklicherweise nicht zu ernst nimmt.

Titelbild

Bodo Kirchhoff: Schundroman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2002.
320 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3627000951

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